Hollande-Berater Jacques Attali "Deutschland ist das kranke Kind Europas"

Paris · Jacques Attali ist Berater des französischen Staatspräsidenten Francois Hollande. In einem Interview kritisiert er den Zustand Deutschlands scharf. Nicht Frankreich sei ein Sorgenkind Europas, sondern Deutschland.

Ist es ein Ablenkungsmanöver, um die Probleme im eigenen Land zu überdecken oder ein ernst gemeinter Angriff auf den großen Nachbarn? Jacques Attali ist ein einflussreicher Berater in Frankreich und unterstützt den derzeitigen Präsidenten Hollande.

Im Interview mit dem "Focus" zieht Attali über den wirtschaftlichen Zustand Deutschlands her. "Frankreich befindet sich im Gegensatz zu Deutschland in einer guten Situation. Deutschland ist in einigen Punkten das kranke Kind Europas."

Um seine These zu untermauern, zählt Attali auf: "Die geringe deutsche Arbeitslosigkeit ist ein Witz, wenn Leute für fünf Euro pro Stunde arbeiten. Das deutsche Bankensystem ist bankrott, weshalb die Regierung auch keine Kontrolle durch eine europäische Instanz will. Deutschland ist ein veraltendes Land mit katastrophalen Grundschulen und sinkender Produktivität, weil die meisten Exportprodukte gerade kopiert werden."

Das Fazit des einflussreichen Mannes und Bestsellerautor, der auch schon Hollandes Vorgänger Nicolas Sarkozy und Francois Mitterand beriet: "Deutschlands Zukunft wird heikel bei einer solch geringen Geburtenrate."

Rosig scheint aber auch Frankreichs Zustand nicht zu und auch Hollande selbst wird in der Bevölkerung äußerst gesehen. Noch nie war ein Präsident unbeliebter als der Sozialist.

Aus Protest gegen die geplante Ökosteuer für Lastwagen haben am Samstag in Frankreich hunderte Lkw-Fahrer mit Straßensperren wichtige Verkehrsachsen lahmgelegt. Nach Angaben der Organisatoren beteiligten sich 4500 Lastwagen an der Protestaktion, das Innenministerium sprach von 2200 beteiligten Lkw an 47 Aktionspunkten landesweit.

Und auch aus den Reihen der französischen Opposition kommt Kritik. Sie hat skeptisch auf den Rückgang der Arbeitslosenzahlen im Oktober reagiert, wodurch Staatschef Hollande eine Trendwende am Arbeitsmarkt eingeleitet sieht. Der Chef der Linkspartei, Jean-Luc Mélenchon, sprach am Freitag von einem "Herumgetrickse".

Eine Umkehr der seit rund zweieinhalb Jahren nahezu stetig angestiegenen Arbeitslosenkurve sei mit der Politik der regierenden Sozialisten "absolut unmöglich", sagte Mélenchon dem Sender France 2. Er verwies darauf, dass die Zahl der bei den Arbeitsämtern Gemeldeten deutlich zugenommen habe, wenn geringfügig Beschäftigte eingerechnet würden.

Im Oktober war die Zahl der Arbeitslosen in Frankreich im Vergleich zum Vormonat um 20.500 auf 3,27 Millionen zurückgegangen. Hollande erklärte daraufhin am Donnerstagabend, damit sei die von ihm bis zum Jahresende versprochene Trendwende am Arbeitsmarkt eingeleitet. Die Arbeitslosigkeit in Frankreich war seit dem Frühjahr 2011 nahezu ununterbrochen angestiegen und hatte historische Höchststände erreicht.

(nbe)
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