Passanten sterben durch Bombenanschläge Die Eskalation der Gewalt schockt China

Ürümqi · Dutzende kleiner Restaurants drängen sich an beiden Seiten der schmalen Allee. Auf dem Markt auf der Gongyuanbei-Straße von Ürümqi im westchinesischen Xinjiang kaufen die Anwohner jeden Morgen ihr Gemüse ein, so auch an diesem Donnerstag. Plötzlich rasen laut Augenzeugen zwei Autos von beiden Enden der Allee in die ahnungslosen Passanten.

Auf der schmalen Straße können die Menschen kaum fliehen. Dann reißen die ersten Explosionen Fußgänger zu Boden, wie Augenzeugen und Vertreter der Behörden übereinstimmend berichten. "Es gab 15 Detonationen. Alle zehn Sekunden wurde ein neuer Sprengsatz aus den Autos in die Menge geschleudert", sagt Herr Shan der Nachrichtenagentur dpa am Telefon. Er arbeitet in einem Nudelladen, als vor dem Geschäft mehr als 30 Menschen ums Leben kommen. "Das war so furchtbar. Das ist ein Markt, auf dem ganz normale Leute einkaufen. Viele von ihnen sind Rentner", sagt er. Jeder komme zu dem Markt, egal ob er zu den Han-Chinesen, den muslimischen Uiguren oder zu der Volksgruppe der Kasachen gehöre.

Mit dem Anschlag von Ürümqi erreicht die Gewalt in Xinjiang für Professor Rohan Gunaratna eine neue Stufe. "Das ist der brutalste Anschlag in einer Serie von Terrorattentaten in China", meint der Terrorforscher von der Nanyang Technological University in Singapur. Die Angreifer in Ürümqi hätten sich ganz gezielt normale Passanten als Opfer ausgesucht. Das Vorgehen erinnere stark an das Terrornetzwerk Al-Kaida. Gunaratna ist überzeugt, dass sich in spätestens einigen Tagen eine islamistische Terrororganisation zu dem Anschlag in Ürümqi bekennen wird.

Konflikt schwelt seit Jahren

Seit Jahren schwelt der Konflikt zwischen Han-Chinesen und Uiguren in Xinjiang. Peking versucht die Spannung mit Wirtschaftshilfe zu entschärfen, aber setzt gleichzeitig auf ein massives Aufgebot an Polizisten und Soldaten. Viele Uiguren klagen, dass sie ihren muslimischen Glauben nicht frei ausüben können. Regierungsangestellten wird oft der Besuch von Moscheen verwehrt, und selbst muslimische Patienten in Krankenhäusern berichten, dass sie nicht beten durften. "Den Glauben kann man zu Hause oder in seinem Kopf ausleben", sagte kürzlich Xinjiangs Vize-Gouverneur Huang Wei in einem Interview.

Die jüngsten Anschläge stellen Chinas Zentralregierung vor eine gewaltige Herausforderung, meint Christopher Johnson von der US-Denkfabrik CSIS. Erst im März hatten Angreifer auf dem Bahnhof der südwestchinesischen Stadt Kunming 29 Menschen getötet und 143 Reisende verletzt. Auch vier Attentäter kommen ums Leben. "Es ist neu, dass Uiguren außerhalb von Xinjiang operieren", sagt Johnson. "Das bedeutet, dass sie ein logistisches Netzwerk haben." Im Gegensatz zu Tibetern lebten Uiguren zudem überall in China.

Chinas Führung steht für Christopher Johnson vor einer Richtungsentscheidung: Reagiert sie wieder wie im Jahr 2009 mit einem noch größeren Sicherheitsaufgebot auf jegliche Demonstrationen oder gehen die Staatslenker einen anderen Weg? "Das Regime muss eine Entscheidung fällen", sagt Johnson. Vor fünf Jahren schickte Peking mehr Soldaten und Polizisten nach Xinjiang. Dann brachen Unruhen aus, bei denen in Ürümqi rund 200 Menschen getötet wurden.

Auf keinen Fall dürfe die Zentralregierung Uiguren künftig unter einen Generalverdacht stellen, mahnt Terrorforscher Gunaratna. "Peking muss Herzen und Seelen der Uiguren gewinnen", fordert der Professor. Nur über eine Unterstützung der breiten Bevölkerung könne China den Kampf gegen den Terrorismus gewinnen. "Sonst wird der Grundstein für noch mehr Gewalt gelegt."

Die Reaktion von Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping geht aber in eine andere Richtung. Wenige Stunden nach dem Anschlag ruft er über die Staatsmedien die Bevölkerung zur Wachsamkeit auf. Terroristen müssten hart bestraft werden, fordert Xi. Vor drei Wochen hatte Xi beim Besuch in Xinjiang eine Ausweitung des Kampfes gegen Terroristen angekündigt. Kurz darauf wurden bei einem Anschlag am Bahnhof von Ürümqi drei Menschen getötet und 79 Menschen verletzt.

(dpa)
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