Der Lieblingsbeatle

George Harrison wäre am Sonntag 75 Jahre alt geworden. Er schrieb die besonders schönen Beatles-Hits "Something" und "Here Comes The Sun". Und er ist der Größte unter den heimlichen Stars aus der zweiten Reihe der Rockgeschichte.

Wenn es Zeitmaschinen gäbe, könnte man jetzt rasch mal ins Jahr 1966 reisen. Kurz gucken, wie es zugeht in London, in den berühmten Studios an der Abbey Road. Die Beatles nehmen dort gerade ihr Album "Revolver" auf. George Harrison feilt an seinem Stück "Taxman", das die Platte eröffnen wird. Es ist ein bisschen kompliziert. Die Gitarre soll wie eine Sitar klingen, und George hat es schon 20 Mal versucht, aber er ist nicht zufrieden mit dem Ergebnis. Produzent George Martin platzt schließlich der Kragen. "Lass es Paul machen", sagt er. McCartney, der ja eigentlich Bassist der Band ist, seufzt. Dann greift er sich die Gitarre und spielt einfach los. Es klingt super, es ist perfekt, und sein erster Versuch landet schließlich auf der Platte. Beeindruckende Leistung, klar. Aber im Ernst: Wer ist hier der moralische Sieger? Wen von beiden möchte man in den Arm nehmen? Mit wem würde man lieber Blutsbrüderschaft schließen und in den Wind spucken? Über wen schriebe man lieber einen Roman? Und: Wessen Roman würde man lieber lesen? - Na? Genau.

George Harrison wäre am 25. Februar 75 Jahre alt geworden. Alle Welt kennt ihn als den stillen Beatle. Und das nicht von ungefähr. Man muss sich das mal vorstellen: Da steht man ständig neben Lennon und McCartney, neben der Krawallschachtel und dem Streber, neben zwei Hochbegabten, denen alles sofort gelingt. Vorne ist ständig Remmidemmi, großes Pfauen-Ballett, und hinter sich hat man bloß noch Ringo. Brutale Erfahrung. Da geht man automatisch in die innere Emigration.

Harrison konvertierte eventuell auch deshalb zum Hinduismus, weil der Ursprung der Religion in Indien liegt: weit weg. Andere hätten womöglich den Punk erfunden. Harrison implodierte lieber. Kurz nachdem die Beatles sich getrennt hatten, staunten alle: George veröffentlichte sein Solo-Album "All Things Must Pass". Es kam in einer Box und war sechs LP-Seiten lang. Da hatte sich was aufgestaut.

George war der jüngste Beatle, er ging auf dieselbe Grundschule wie John (man duzt die Beatles automatisch, ganz komisch ist das) - allerdings drei Klassen unter ihm. Paul begegnete er etwas später, und der sorgte dafür, dass George bei den Quarrymen aufgenommen wurde, der Band, aus der schließlich die Beatles hervorgingen. George konnte damals besser Gitarre spielen als die anderen. Er war ziemlich wild, und er himmelte die Rockabilly-Götter an: Carl Perkins, Eddie Cochran. Wenn es schnell wurde bei den Beatles, wenn sie Tempo machten, hatte George seine Auftritte. In "Can't Buy Me Love" etwa. Aber George war eben auch der Melodiker und Feingeist, das begriffen die Kumpels allerdings erst spät. 1967 gönnten sie ihm endlich die erste A-Seite einer Single: "Something". So ein schönes Lied! George widmete es seiner Frau Pattie Boyd. Statt Worten gibt es im Refrain nur diese Gitarrentupfer, die wie Gedankenstriche in der Luft hängen. Ein Freiraum, in den jeder Hörer etwas Rosarotes projizieren kann. Paul hätte wahrscheinlich "And I love you-hu" dazu gesungen, damit die Botschaft deutlicher wird. Aber so war George nicht. Er war feiner. Subtiler.

Überhaupt ist er ja der Anführer jener Gruppe von Musikern, die in den großen Bands zwar nicht die Frontmänner waren, die man aber trotzdem und vielleicht gerade deshalb am liebsten hat. Helden der zweiten Reihe. Charlie Watts, der Schlagzeuger der Rolling Stones gehört auf jeden Fall dazu. Natürlich muss man jetzt noch einmal die legendäre Episode erzählen, in der die Stones in einem Hotel heftig feierten, Watts aber schon im Bett seiner Suite schlief. Mick Jagger soll ihn gegen vier Uhr morgens angerufen haben, gut beschickert und schon leicht drüber: "Wo ist mein Drummer?", rief er der Legende nach in den Hörer. Watts stand auf, zog sich in Ruhe einen Anzug an, richtete das Einstecktuch, nahm den Lift in die Lobby, packte Jagger am Kragen und sagte: "Nenn mich nie wieder deinen Drummer. Du bist mein gottverdammter Sänger." Dann legte er sich wieder schlafen.

Oder John Paul Jones von Led Zeppelin. Er wollte die Band 1973 verlassen, weil die Stelle des Chorleiters in der Kathedrale von Winchester frei wurde. Der Job interessierte ihn. Er blieb dann aber doch. Und seit dem Ende von Led Zeppelin macht er nur noch, wozu er Lust hat: Er arbeitete mit Brian Eno, produzierte die Butthole Surfers, beteiligte sich an den Aufnahmen von "Automatic For The People" von R.E.M. und schrieb ein Tanzstück mit Sonic Youth. Heute träumt er hauptberuflich von einer eigenen Oper. Herrlich.

Oder Andrew Fletcher von Depeche Mode. Das ist der, der immer hinter Sonnenbrille und Keyboard verschwindet. Manchmal singt er die Refrains mit, aber er schrieb bislang keinen Song und "hat eher organisatorische als kreative Aufgaben", wie es bei Wikipedia so schön heißt. Auch ansonsten darf er sich über die allerbesten Formulierungen in diesem Lexikon freuen: "Seit dem Ausstieg von Alan Wilder ist Fletcher deutlich stärker in die Studioarbeit involviert", steht da. "So spielte er Bass bei dem Lied ,A Pain That I'm Used To'." Nur für den Hintergrund: Alan Wilder hat die Band 1995 verlassen; das ist 23 Jahre her.

Aber zurück zu George Harrison. Er war die tragische Figur der Beatles. Für "While My Guitar Gently Weeps" engagierte er seinen Kumpel Eric Clapton, weil er fand, dass er selbst zu schlecht spiele. Clapton spannte ihm zum Dank die Ehefrau aus (und widmete ihr die Songs "Layla" und "Wonderful Tonight", was Pattie Boyd zur meist- und bestbesungenen Frau der Rockgeschichte macht). George hatte 1970 mit "My Sweet Lord" die erste Solo-Nummer-eins eines Beatle. Aber er musste fast zwei Millionen Pfund an die Band The Chiffons zahlen, weil er Teile des Lieds angeblich plagiiert hatte. Auf Glück folgte bei ihm immer Pech.

Was viele nicht wissen: George gab der Komiker-Truppe Monty Python Geld, damit sie den Film "Das Leben des Brian" verwirklichen konnte. Warum? "Ich wollte diesen Film unbedingt sehen." Dick genug war sein Konto: Geschätzt zwölf Millionen Euro pro Jahr kamen allein aus Lizenen und Tantiemen hinzu. Und dennoch: "Der Horror" seien die Beatles-Jahre gewesen, sagte Harrison nach seinem Comeback in den 80ern. Große Teile der 70er hatte er im Drogenrausch verbracht.

Vielleicht würde er heute Musik für Meditations-Apps komponieren oder Malbücher für Erwachsene ausfüllen. Wir wissen es nicht. 1999 wurde er in Friar Park, seinem Herrenhaus in Henley-on-Thames, von einem geistig Verwirrten niedergestochen. Seine zweite Ehefrau Olivia rettete ihm das Leben. 2001 starb George Harrison an Lungenkrebs.

Hoffentlich hat er seinen Frieden gefunden. Der Lieblingsbeatle. Lucky in the sky with diamonds.

(hols)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort