Analyse Als Kaiser Wilhelm das Schweben lernte

Wuppertal · Am 24. Oktober 1900 weihte Kaiser Wilhelm II. die Wuppertaler Schwebebahn ein. Mit großem Pomp besuchte er die Städte Barmen, Elberfeld und Vohwinkel. Der Kaiserwagen lädt noch heute regelmäßig zur Fahrt in die Vergangenheit.

 Kaiser Wilhelm II. (vorne links mit Pickelhaube an der Kutsche) besucht 1900 mit großem Gefolge den Schwebebahnhof Döppersberg. Das heutige Bahnhofsgebäude ist weitaus schmuckloser gestaltet als der alte Bahnhof.

Kaiser Wilhelm II. (vorne links mit Pickelhaube an der Kutsche) besucht 1900 mit großem Gefolge den Schwebebahnhof Döppersberg. Das heutige Bahnhofsgebäude ist weitaus schmuckloser gestaltet als der alte Bahnhof.

Foto: Stadtarchiv Wuppertal,Hans-Jürgen Bauer/Montage: Krebs, Radowski

Mangelnden Mut kann man dem letzten Kaiser des Deutschen Reichs nicht nachsagen. Ein halbes Jahr, bevor der erste Wuppertaler Bürger seinen Fuß in die Schwebebahn setzt, wagt sich Wilhelm II. am 24. Oktober 1900 an Bord des stählernen Ungetüms. Viele Menschen sehen in der Hochbahn damals ein schwebendes Satanswerk, von größenwahnsinnigen Ingenieuren errichtet. Aber den technikgläubigen Kaiser ficht das nicht an. Rund zwölf schwindelerregende Meter über der Wupper führt ihn die erste Fahrt vom Bahnhof Döppersberg in Elberfeld über den Bahnhof Zoo nach Vohwinkel. Alles geht gut. Der Kaiser lobt denn auch die Bahn überschwänglich als Beleg deutscher Fortschrittlichkeit.

 Der Eingang zum Wuppertaler Von der Heydt-Museum.

Der Eingang zum Wuppertaler Von der Heydt-Museum.

Foto: hertgen

Der pompöse Wagen, in dem Wilhelm II. durch das Tal der Wupper schwebt, trägt die Nummer 5. Noch immer quietscht diese liebevoll restaurierte Bahn an Sonn- und Feiertagen die 13,3 Kilometer lange Strecke zwischen Vohwinkel und Oberbarmen entlang und bietet den Fahrgästen neben dem bergischen Panorama eine Reise in die Vergangenheit. Im weinrot lackierten "Kaiserwagen" sitzen die Fahrgäste auf plüschgepolsterten Sitzen an Tischen, an denen Kaffee und Kuchen serviert wird — eine stilvolle Art, das Tal zu bereisen. Ähnlich muss sich auch Wilhelm II. gefühlt haben. Kurz bevor er mit seiner Gemahlin Auguste Viktoria Elberfeld erreichte, soll er zu seiner Frau gesagt haben: "Auguste, setz den Hut op, wir kommen in de Stadt."

Diese Stadt hat sich aber selbst aufs Allerfeinste herausgeputzt, um den hohen Gast zu würdigen. Alle Bahnhöfe sind geschmückt; Kriegervereine und Husaren begleiten den Kaiser, der in einer offenen Kutsche die Stationen besucht. Zehntausende säumen die Straßen, um einen Blick auf das Staatsoberhaupt zu erhaschen. Als feierliches Beiprogramm werden Ruhmeshalle und Elberfelder Rathaus eingeweiht. Für den standesbewussten Kaiser ist solcher Pomp selbstverständlich; so regt er beispielsweise wenige Jahre später einen Bahnhofsneubau in Wildpark an, nahe dem Neuen Palais, seiner Residenz in Potsdam. Dieser Kaiserbahnhof ist so imposant gestaltet wie ein englischer Landsitz, ausgestattet mit edelsten Hölzern und pittoresk gestaffelten Dächern und wird im Jahr 1909 in Betrieb genommen, um ausländischen Herrschern den Glanz des Kaiserreichs zu demonstrieren.

Zurück ins Bergische im Jahr 1900. Mit dem Besuch des Kaisers wird auch ein für die Zeit ungewöhnlicher Pioniergeist gewürdigt. Denn eine Hochbahn, an deren Gleis die Wagen hängen statt darauf zu fahren, gibt es in Deutschland nicht. Geboren worden ist die Idee als Reaktion auf die schwierige topographische Lage der Städte Barmen und Elberfeld. Beide damals wirtschaftlich stark prosperierenden Zentren quetschen sich ins langgezogene Tal der Wupper, das wenig Platz für eine vernünftige Verkehrs-Infrastruktur bietet. Die Einwohnerzahl hat sich in 50 Jahren mehr als verdoppelt, rund 210 000 Menschen haben sich in den beiden Orten niedergelassen. Als einzige überbaubare Fläche, um die Städte zu verbinden, kommt für die Stadtplaner die Wupper infrage — und damit eine unkonventionelle Lösung.

Am Ende entscheidet man sich für die stählerne Konstruktion von Eugen Langen und verwirft den Vorschlag der Firma Siemens & Halske. Die hat vorgesehen, über den Fluss eine Art Straße zu bauen, auf der eine elektrische Eisenbahn fahren soll. Von der Wupper wäre dann nichts mehr zu sehen gewesen. Aber auch gegen die Pläne des Unternehmers Langen regt sich von Anfang an Widerstand. So sind die Pferdebahnbetreiber genausowenig begeistert von der Idee wie viele Bürger, die das Stadtbild verschandelt wähnen. Dennoch entscheiden sich die Städte am 28. Dezember 1894 dafür, die Hochbahn zu bauen. Bereits vier Jahre später, im Mai 1898, ist der erste Spatenstich.

Für die damalige Zeit legen die Handwerker ein hohes Tempo vor. Nur zwei Jahre später fahren die ersten Probezüge zwischen den Bahnhöfen Zoo und Döppersberg. Als der Kaiser das technische Wunderwerk inspiziert, ist schon eine 4,6 Kilometer lange Teilstrecke betriebsfertig. Ab 1. März 1901 darf auch das gemeine Volk durchs Tal schweben, zumindest über die bis dahin fertiggestellte Teilstrecke. Allein am ersten Tag probieren 10 000 Menschen das neue Verkehrsmittel aus. Zwei Jahre später sind es 25 000 Menschen, die die jetzt komplettierte Strecke von Oberbarmen bis Vohwinkel abfahren. 40 Pfennig kostet an diesem Tag ein Fahrschein.

Der Bau der Schwebebahn ist in jeder Hinsicht ein Kraftakt. Um Platz für die Stützfundamente des Stahlgerüsts zu haben, müssen rund 240 Grundstücke entlang der Wupper enteignet werden. Viele Arbeiter lassen auf dem Gerüst ihr Leben, weil sie ungesichert arbeiten. Mehr als 19 000 Tonnen Eisen werden für die 13,3 Kilometer lange Strecke verbaut, rund 16 Millionen Goldmark kostet das Prestige-Projekt. Der Unternehmer Eugen Langen erlebt die Realisierung seines Hochbahn-Traums nicht mehr. Er stirbt 1895. Wüsste er, dass sein Projekt noch 120 Jahre später sehr lebendig ist, er wäre zu Recht stolz darauf. Und dürfte er einmal mit der Schwebebahn fahren, könnte er sogar den Kaiserwagen benutzen.

(RP)
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