Bayern wollen Nachdrucke verbieten Streit um Nazi-Zeitungen am Kiosk

Düsseldorf (RP). Das neue Magazin "Zeitungszeugen" veröffentlicht Nachdrucke von Zeitungen unter anderem aus der Nazi-Zeit. Eingelegt sind die Blätter in einen Mantelteil mit kritischen Kommentaren renommierter Historiker. Das Bayerische Finanzministerium will die Nachdrucke nun verbieten lassen.

Der Anblick irritiert: "Reichskanzler Hitler!" steht in fetten Lettern auf der Zeitung "Der Angriff" — ein Nazi-Blatt, das von Joseph Goebbels herausgegeben wurde und am 30. Januar 1933 die Ernennung Hitlers zum Reichskanzler feierte. Zusammen mit zwei anderen Zeitungen aus dieser Zeit, der nationalkonservativen "Deutschen Allgemeinen Zeitung" und dem KPD-Organ "Der Kämpfer", ist "Der Angriff" derzeit am Kiosk zu kaufen — eingelegt in ein Heft, das den Titel "Zeitungszeugen" trägt.

Das Magazin hat sich zum Ziel gesetzt, historische Zeitungen vollständig nachzudrucken. Dazu liefert es im Mantelteil, dem die Nachdrucke eingeschoben sind, Kommentare angesehener Historiker wie Hans Mommsen oder Wolfgang Benz, Leiter des Zentrums für Antisemitismusforschung der TU Berlin. Das Magazin nutzt also die doppelte Funktion von Zeitungen, die eben nicht nur Neuigkeiten berichten, sondern auch historisches Dokument sind — und einzigartige Quelle für den Alltag, der historische Ereignisse umgibt.

Doch diese Idee hat eine heftige Debatte ausgelöst. Das Bayerische Finanzministerium hält — übertragen durch die Alliierten — die Rechte an den Nazi-Zeitungen und will deren Nachdruck verbieten lassen. Die "Zeitungszeugen"-Redaktion soll eine Unterlassungserklärung abgeben, Exemplare, die noch im Verkauf sind, sollen eingezogen werden. Das Ministerium beruft sich darauf, mit den Rechten auch die Verantwortung für die Nazi-Schriften übertragen bekommen zu haben und will "einer weiteren Verbreitung nationalsozialistischen Gedankenguts vorbeugen".

Die Verantwortlichen des Magazins halten das für einen Eingriff in die Pressefreiheit. Es gebe keine Missbrauchgefahr durch rechtsradikale Propaganda, sagt die "Zeitungszeugen"-Chefredakteurin Sandra Paweronschitz. Die historische Einordnung der Blätter durch renommierte Wissenschaftler "sowie direkte Gegenüberstellung mit den nachgedruckten kommunistischen oder sozialdemokratischen Blättern bewirken das genaue Gegenteil: Aufklärung über die NS-Propaganda im besten Sinne".

Der Streit berührt die grundlegende Frage, ob die deutsche Gesellschaft sich für mündig genug hält, Hetzschriften als das einzuordnen, was sie sind. Denn natürlich ist es ein Leichtes, den aufklärerischen Mantelteil des Magazins wegzuwerfen, schon hält der Leser ein Nazi-Blatt in der Hand. Und natürlich könnten sich rechtsradikal Gesinnte an den Inhalten laben. "Ich denke, eine freie Gesellschaft muss dieses Risiko eingehen", sagt Horst Pöttker, Professor für Journalistik an der TU Dortmund. Er gehört zu einem zehnköpfigen Wissenschaftlerteam, das die Zeitungszeugen-Redaktion berät. Pöttker hält das Verbotsversuch durch das Bayerische Finanzministerium für einen Missbrauch des Copyrights.

"Das Copyright hat einen kommerziellen Sinn, darum haben die Alliierten die Rechte auch einem Finanzministerium übertragen. Doch das argumentiert nun pädagogisch, will die deutsche Öffentlichkeit vor den Schriften bewahren. Die Idee von Öffentlichkeit verträgt aber keine Pädagogik, keinen Paternalismus, denn Öffentlichkeit bedeutet, optimale Transparenz herzustellen — auch über Dinge, die unangenehm sind." In der aktuellen Ausgabe sei etwa zu erkennen, dass Hitlers Ernennung zum Reichskanzler in der nationalkonservativen Presse keineswegs als Bruch wahrgenommen wurde. Die öffentliche Tabuisierung der nationalsozialistischen Ideologie hält Pöttker für das eigentlich Gefährliche. "Verdrängtes pflegt in neuem Gewand wiederzukehren, das ist auch ein kollektives Phänomen."

Die Frage, ob Deutschland reif ist für die Auseinandersetzung mit Nazi-Originalschriften, müsste also eigentlicht in einem breiten gesellschaftlichen Diskurs geklärt werden. Doch wahrscheinlich wird am Ende ein Gericht das letzte Wort haben. Die Zeitzeugen-Chefredakteurin ist jedenfalls entschlossen: Notfalls will sie bis vor das Bundesverfassungsgericht ziehen.

(RP)
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