Verzweifelter Kampf in Chinas Hauptstadt Selbstverbrennungen als letzter Protest gegen Abrissbirne

Peking (rpo). Der verzweifelte Kampf gegen den Abriss eines Pekinger Hofhauses, in dem eine Familie seit mehr als 200 Jahren wohnt, gipfelte im Versuch der Selbstverbrennung des 35-Jährigen Sohnes. Diese Form des letzten Protestes ist in China kein Einzelfall.

<P>Peking (rpo). Der verzweifelte Kampf gegen den Abriss eines Pekinger Hofhauses, in dem eine Familie seit mehr als 200 Jahren wohnt, gipfelte im Versuch der Selbstverbrennung des 35-Jährigen Sohnes. Diese Form des letzten Protestes ist in China kein Einzelfall.

Mit Äxten schlagen die Arbeiter der Abrisskolonne die Haustür ein. Polizisten stürmen ins Haus, greifen sich den 78-jährigen Großvater und seine Schwiegertochter, zerren sie heraus auf die Straße. Der Sohn Wang Baoguang wehrt sich, bleibt im Haus zurück. Verzweifelt greift der 35-Jährige zu einem Kanister, schüttet Benzin über sich und zündet sich an. Es ist sein letzter Protest, 65 Prozent seiner Haut sind verbrannt. Seit einem halben Jahr wehrt sich die Familie vergeblich gegen den Abriss des Pekinger Hofhauses, das sie seit mehr als 200 Jahren bewohnt.

Es ist bereits die dritte bekannt gewordene Selbstverbrennung wegen eines Umsiedlungsprojekts in China in nur zwei Wochen. Erst Mitte September hatte sich ein Bauer auf dem Tian'anmen-Platz in Brand gesteckt. Aus Nanjing wurde eine ähnliche Selbstverbrennung gemeldet. "Das ist unser Zuhause. Wir leben hier seit Generationen", klagt Wang Suhua, die Schwester des 35-Jährigen, der die fünf Familienmitglieder aus drei Generationen mit seinem nicht lizensierten Taxi ernährt hatte. "Ich lebe hier, seit ich geboren bin", sagt Wang Suhua. "Wir können uns keine andere Wohnung leisten."

400 bis 500 Familien müssen weichen

Etwa 400 bis 500 Familien müssen dem Bauprojekt weichen, das die Entwicklungsgesellschaft in Kooperation mit lokalen Stellen in Huangshan Mudian im Osten Pekings hochziehen will, um von dem boomenden Immobilienmarkt zu profitieren. Mehrere Dutzend Familien fanden die Entschädigung nicht ausreichend. Andere verschafften sich vermutlich über gute Beziehungen höhere Zahlungen. "Hier ist die Mafia am Werk", glauben einige der Familien. Als sie mit einer Klage vor Gericht drohten, habe ihnen die Entwicklungsgesellschaft beschieden: "Wir haben keine Angst. Verklagt uns doch. Wir haben unsere Leute ganz oben."

Das Vorgehen ist keineswegs ungewöhnlich, sondern symptomatisch. Überall in Peking werden heute ähnliche Geschichten erzählt. Immer wieder gibt es Proteste vor der Stadtregierung. Ein Drittel des mehr als 60 Quadratkilometer großen alten Stadtkerns ist nach Schätzungen schon abgerissen worden. Zehntausende der alten Hofhäuser, die in traditionellen Hutongs genannten Gassen liegen, sind weg. Sie mussten modernen Hochhäusern, Bürokomplexen, Einkaufsplazas, Straßen und manchmal auch Entwicklungsprojekten Platz machen, die mit Blick auf die Olympischen Spiele 2008 durchgezogen werden.

Entschädigungen reichen meist nicht

Meist reichen die Entschädigungen nicht. Viele müssen ihre Ersparnisse aufbrauchen. Das neue Zuhause wird dann ein anonymer Betonblock in einem weit abgelegenen Vorort, von dem es mehr als eine Stunde in überfüllten Bussen bis in die Stadt braucht. Manche glauben, dass der Umzug der Preis des Fortschritts sei, freuen sich über bessere sanitäre Anlagen als in den Hutongs. Sie verlieren aber das soziale Umfeld, vereinsamen und vermissen den "nächsten Nachbarn, der mehr bedeutet als ein entfernter Verwandter", wie ein Sprichwort sagt. Nach einer jüngsten Umfrage in den modernen Großstädten Chinas kennt nur noch jede zweite Familie die Namen ihrer Nachbarn.

Auch beklagen Experten, dass Chinas Hauptstadt ihr historisches und kulturelles Gesicht unwiederbringlich verliert. Versuche, historische Hutongs zu retten, schlagen fehl. Es wird eingeräumt, dass Verordnungen zu ihrem Schutz wegen anderer mächtiger Interessen oft nicht durchgesetzt werden. Gesellschaftlich hat das Geschäft mit dem Abriss und Neubau seine Grenzen erreicht, wie die zunehmenden Proteste zeigen. Aus Angst vor größeren Unruhen eilte in Huangshan Mudian der Gemeindevorsteher in das Abrissgebiet und sicherte die kostenlose medizinische Behandlung von Wang Baoguang zu. Der Abriss des Hauses wurde gestoppt - aber nur vorerst.

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