Trgödie in Norwegen Junger Afghanistan-Flüchtling angeschossen

Hönefoss/Norwegen · Hussein Kazemi hat in seinem Leben schon oft der Gefahr ins Auge gesehen. Kazemi kam vor zwei Jahren auf der Suche nach Sicherheit aus Afghanistan nach Norwegen. Nun ist er eines von Dutzenden Opfern, die nach dem Doppelattentat im Krankenhaus liegen.

Norweger gedenken der Opfer in Schweigeminute
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Mindestens 93 Menschen hatten weniger Glück. Sie kamen bei der Bombenexplosion in Oslo ums Leben oder wurden in dem Lager auf der Insel erschossen. "Ich habe in Afghanistan viele Gefahren erlebt. Aber das ist die schlimmste Erfahrung, die ich in meinem Leben machen werde", sagte der 19-Jährige am Sonntag bei einem Interview in seinem Krankenbett. Doch trotz der schrecklichen Erlebnisse sieht er Norwegen noch immer positiv. "Ich habe viel Gutes in Norwegen erlebt, so viel Gutes", sagte er.

In dem Lager der Jugendorganisation der sozialdemokratischen Partei waren viele Immigranten oder Kinder von Einwanderern. Die Schießerei habe angefangen, nachdem gerade ein Fußballspiel zu Ende gegangen war. Dabei kickten Lagerteilnehmer gegeneinander, die eine veritable UN-Auswahl abgegeben hätten. Jugendliche aus Afghanistan, Georgien, den kurdischen Gebieten der Türkei und des Iraks, Sri Lanka, Somalia, Libanon und anderen Ländern hätten mitgespielt.

Flüchtlinge waren dem Attentäter ein Dorn im Auge

Norwegen hat in den vergangenen Jahren vielen Menschen aus Kriegsgebieten Asyl gewährt. Für den mutmaßlichen Attentäter, der in seinem 1500 Seiten umfassenden Manifest gegen eine multikulturelle Gesellschaft und muslimische Immigranten wetterte, war dies vermutlich ein Grund für seine Tat.

Für ihn habe es nicht danach ausgesehen, als ob der Schütze es auf Campteilnehmer einer bestimmten Hautfarbe oder Religion abgesehen habe, sagte Kazemi. "Es schien, als wolle er alle töten. Keiner sollte verschont werden", sagte er mit Hilfe seines Stiefbruders, der ihm beim Übersetzen half.

Als es losging, war Kazemi in der Cafeteria: Explosionen, dann Schreie. Andere, die begriffen, was los war, warfen sich auf den Boden. "Also hab ich mich auch hingeworfen, aber ich wusste nicht, warum", sagte er.

Den ersten Treffer merkte Kazemi nicht einmal

Dann sah er den Schützen. Um ihn herum fielen Menschen getroffen um. Er rannte mit einer Gruppe Überlebender kopflos hinaus und irrte zehn Minuten hastend durch den Wald. Erst als sie vollkommen außer Atem den felsigen Strand erreichten, starrten ihn seine Freunde mit angsterfüllten Augen an. Kazemi war mindestens einmal getroffen worden, höchstwahrscheinlich gleich in der Cafeteria. "Mein Bein war blutüberströmt. Ich habe es gar nicht bemerkt. Ich war zu sehr damit beschäftigt, am Leben zu bleiben", sagte er.

Er hatte aber keine Zeit, die Wunde zu versorgen. Der Schütze war ihnen gefolgt und feuerte mit seinem Gewehr auf sie. Die Teenager konnten versuchen, sich hinter den Felsen zu verstecken oder ins kalte Wasser springen und die 600 Meter zum Festland schwimmen.

Als Nichtschwimmer ins Wasser gesprungen

Kazemi versuchte beides. Er warf sich auf den felsigen Untergrund, bis um ihn herum Kugeln einschlugen. Dann sprang er ins Wasser, obwohl er nie schwimmen gelernt hatte. Er verschluckte sich am Wasser und klammerte sich an einen herausstehenden Felsen, um nicht zu ertrinken. Der Schütze feuerte immer weiter. Kazemi schätzt, dass um ihn herum etwa 20 Lagerteilnehmer tot oder sterbend im Wasser schwammen.

Kazemi versuchte, sich tot zu stellen. Der Schütze wandte sich bald ab und widmete seine Aufmerksamkeit einer Gruppe schreiender und weinender Mädchen, etwas weiter das Ufer hinauf. Er habe weitere Schüsse gehört, dann sei das Geschrei verstummt, berichtete Kazemi. Nachdem er etwa eine halbe Stunde still am Strand gelegen habe, sei die Polizei gekommen und habe den Schützen festgenommen.

Zum Aufdecken auf die Hilfe der Brüder angewiesen

Mit seinem breiten Lächeln sieht Kazemi wie ein Teenager bei bester Gesundheit aus. Doch nur mit Hilfe seines Bruders und seines Stiefbruders kann er mit seinem gesunden Arm die Decke beiseiteschieben und den Blick auf die Schusswunden in seinen Oberschenkeln und seiner Ferse freigeben. An seinem linken Arm hat er einen Streifschuss. "Der Arzt sagt, ich werde wieder laufen können. Aber ich muss heute Abend noch einmal operiert werden", sagte er. "Ich bin stark", fügte er hinzu.

Die Frage, ob er Norwegen jetzt für gefährlich halte, verneint er entschieden. Er habe viele Gefahren in seiner Heimatstadt Herat im Nordwesten Afghanistans überlebt und keinen Moment daran gezweifelt, dass er auch dies überleben werde.

"Man hat nur ein Leben, und man muss das Gute und das Schlechte annehmen", sagte Kazemi. "Es wird immer beides geben. So ist das Leben. Es gibt Höhen und Tiefen. An einem gefährlichen Ort kann man überleben und an einem sicheren Ort sterben. Es ist Schicksal. Man kann es nicht vermeiden", sagte er.

(apd/jre/RPO)
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