AKW-Debatte in Deutschland Entscheidet Atom-Streit die Landtagswahlen?

Berlin/Stuttgart (RP). Die Nuklearkatastrophe in Japan stellt die Atompolitik von Baden-Württembergs Ministerpräsident Stefan Mappus (CDU) infrage. SPD, Grüne und Linke sehen sich in ihrem Anti-Atom-Kurs bestätigt. Der SPD-Spitzenkandidat will Atommeiler bis Jahresende abschalten. Am 27. März wird gewählt.

Tag 3 nach der Katastrophe in Japan
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Die nukleare Katastrophe in Japan hat die Atomdebatte ins Zentrum des baden-württembergischen Wahlkampfs katapultiert: SPD, Grüne und Linke verlangten eine rasche Kehrtwende in der Atompolitik der Bundes- und der Landesregierung. "Wir müssen den Schröderschen Atomausstieg konsequent fortsetzen, weil die Risiken der Atomkraft eben nicht beherrschbar sind, wie das traurige Beispiel im Hightech-Land Japan zeigt", sagte Baden-Württembergs SPD-Spitzenkandidat Nils Schmid unserer Redaktion.

Ministerpräsident Stefan Mappus (CDU) will dagegen an der Verlängerung der Laufzeiten der Atomkraftwerke festhalten. Er werde unverzüglich eine Expertenkommission einberufen, die Konsequenzen aus den japanischen Erfahrungen für die Kernkraftwerke in Baden-Württemberg untersuchen solle, kündigte Mappus an. "Sollte sich eine bisher nicht bekannte Fehlerquelle herausstellen, werden alle nötigen Konsequenzen vorbehaltlos gezogen", sagte Mappus.

In Baden-Württemberg wird am 27. März gewählt. Anders als in Rheinland-Pfalz, wo die Bürger am selben Tag an die Urnen gehen, setzen Union und FDP in Baden-Württemberg auf einen Wahlsieg. Dieser steht jedoch seit dem größten anzunehmenden Unfall (GAU) in Japan an diesem Wochenende mehr als zuvor infrage. Schon in den jüngsten Meinungsumfragen vor der japanischen Katastrophe lagen Schwarz-Gelb und Rot-Grün gleichauf. Ob Mappus seine Macht konservieren kann, wird vom Abschneiden der FDP abhängen. In der jüngsten Forsa-Umfrage vom 11. März erreichten die Liberalen nur noch fünf Prozent — ein Scheitern an der Fünf-Prozent-Hürde ist mithin nicht ausgeschlossen.

Schmids SPD liegt in der Umfrage mit 26 Prozent klar vor den Grünen, die in Baden-Württemberg derzeit 20 Prozent der Wähler überzeugen. Als Ministerpräsident werde er "alles in Bewegung setzen, um die beiden ältesten Meiler in unserem Land bis Jahresende stillzulegen", sagte Schmid unserer Redaktion. "Nach einem Regierungswechsel wird sich Baden-Württemberg der Verfassungsklage der SPD-regierten Länder gegen die Verlängerung der Atomlaufzeiten anschließen."

Die Kernkraftwerke Neckarwestheim 1 und Philippsburg 1 gehören zu den ältesten in Deutschland. Selbst ihr Betreiber Energie Baden-Württemberg (EnBW), an dem das Land mit 45 Prozent der Anteile beteiligt ist, hatte unlängst bezweifelt, ob sich der Weiterbetrieb lohnen werde, wenn umfangreiche Nachrüstungsinvestitionen anfielen.

Der japanische GAU bringt Mappus nun umso mehr in Erklärungsnöte. Nach dem Schlichterspruch zum Bau des umstrittenen unterirdischen Bahnhofs Stuttgart 21 hatte Mappus gehofft, aus der Schusslinie zu kommen. Doch die Proteste gegen den Bahnhof rissen nicht ab. Nun kommen neue hinzu: Die Atomkraftgegner machen mobil.

Einen Vorgeschmack lieferte am Samstag eine 45 Kilometer lange Menschenkette zwischen dem Atomkraftwerk Neckarwestheim und dem Stuttgarter Regierungsviertel. 60 000 Bürger protestierten gegen den Atomkurs der Landesregierung. Die Proteste waren lange vor den Ereignissen in Japan organisiert, nun gewannen sie Brisanz. "Angela Merkel und Stefan Mappus werden merken: Wer Laufzeiten verlängert, verkürzt seine Regierungszeit", sagte Jochen Stay von der Anti-Atom-Organisation "Ausgestrahlt".

Union und FDP hatten im vergangenen Jahr den Ausstieg vom rot-grünen Atomausstieg beschlossen. Die Laufzeiten der Atomkraftwerke sollen um durchschnittlich zwölf Jahre verlängert werden. Jüngere Meiler sollen 14, ältere acht Jahre länger am Netz bleiben. Die SPD-regierten Länder haben dagegen Klage vor dem Verfassungsgericht eingereicht: Sie halten es für verfassungswidrig, dass die Bundesregierung die Laufzeitverlängerung ohne Zustimmung des Bundesrats durchsetzen will. Sollte das Atomland Baden-Württemberg künftig von Rot-Grün regiert werden, wird der Widerstand schärfer.

Angela Merkel wäre nicht Kanzlerin, wenn sie die Gefahr nicht sofort erkannt hätte. Kurzfristig beraumte sie am Samstag ein Krisentreffen ein. Offiziell ging es um die nächsten Schritte der Regierung nach der Katastrophe. Inoffiziell aber suchte Merkel bereits nach neuen Strategien mit Blick auf die Landtagswahlen. Dass Umweltminister Norbert Röttgen (CDU) gleich danach vorsichtig vom harten Atomkurs abrückte, gehört sicher dazu.

(RP)
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