Serie Solinger Geschichten (1) Mühlenhof - Solingens erstes Shopping-Center

Solingen · Der Hofgarten ist das neueste, aber beileibe nicht das erster Einkaufscenter Solingens. Schon 1949 gab es in der Klingenstadt eine "Shopping-Mall".

 Der Mühlenhof im Jahr seiner Eröffnung 1949. Der Clemens-Kirche (l.) fehlten nach dem Krieg noch die Turmspitzen. Die Innenstadt (im Hintergrund) lag seit dem Bombenangriff von 1944 größtenteils in Trümmern.

Der Mühlenhof im Jahr seiner Eröffnung 1949. Der Clemens-Kirche (l.) fehlten nach dem Krieg noch die Turmspitzen. Die Innenstadt (im Hintergrund) lag seit dem Bombenangriff von 1944 größtenteils in Trümmern.

Foto: Stadtarchiv

Nein, man konnte wirklich nicht behaupten, dass die eingeschossigen Flachbauten im Solinger Stadtzentrum irgendetwas Erhabenes hatten. Im Sommer 1949 waren sie in einer rekordverdächtigen Bauzeit von gerade einmal gut drei Monaten aus dem Boden gestampft worden. Überall in der Innenstadt waren die Folgen des verheerenden Luftangriffs auf Solingen vom 4. und 5. November 1944 noch sichtbar. Und die Ruinen, die die alliierten Bomber hinterlassen hatten, überragten knapp vier Jahre später weiter jeden anderen Eindruck — was auch für die neuen Baracken am Mühlenplatz, eben schon wegen ihrer bescheidenen Größe, galt.

 Nach dem Krieg wurden an verschienenen Orten in der Innenstadt, wie hier an der heutigen Konrad-Adenauer-Straße, Behelfsbauten errichtet.

Nach dem Krieg wurden an verschienenen Orten in der Innenstadt, wie hier an der heutigen Konrad-Adenauer-Straße, Behelfsbauten errichtet.

Foto: stadtarchiv solingen

Aber trotzdem: Die Behelfsbauten im Schatten der Clemens-Kirche, deren Türme vier Jahre nach Kriegsende noch ohne Spitzen dastanden, strahlten etwas Richtungsweisendes aus — und das gleich im doppelten Sinn. Die als Provisorium gedachten Baracken, in denen fortan ausgebombte Solinger Einzelhändler ihre Waren anbieten konnten, wurden am 17. August 1949 eröffnet. Doch mit der geschwungenen Fassade nahmen die flachen Gebäude einerseits bereits das architektonische Credo des darauffolgenden Jahrzehnts vorweg, als eine bis dahin kaum für möglich gehaltene Mischung aus Leichtigkeit sowie kühler Eleganz den Baustil prägte. Und zum anderen kündeten die großen Glasfronten zu allen drei Seiten des Ensembles darüber hinaus vom schon bald beginnenden Wirtschaftswunder der 50er Jahre. Sie ließen die moderne Konsumgesellschaft erahnen.

Solingens erstes Einkaufszentrum, das nach dem Platz an seiner Nordseite schlicht Mühlenhof genannt wurde, hatte so gar nichts mehr mit den ehemaligen Geschäftshäusern gemein, die beim Bombenangriff vom November 1944 genauso untergegangen waren wie fast die gesamte Altstadt. Während die Kunden bis zur Zerstörung der Solinger Innenstadt — wie anderswo auch — die Vielfalt der Waren hinter den Glasscheiben in den dunkel wirkenden Geschäften allenfalls erahnen konnten, zog der neue Mühlenhof die Kunden mit seinen fast vom Fußboden bis zum Dach reichenden großen Schaufensterfronten förmlich in die Läden. Der Mühlenhof — er war nicht nur ein Provisorium auf Zeit, sondern mit seinem vielen Glas im übertragenen Sinn mindestens genauso ein Versprechen auf eine transparentere Zukunft.

Die Festredner, die am 17. August 1949 — also genau drei Tage nach der ersten Bundestagswahl — in die gerade erst im Werden begriffene Solinger City gekommen waren, geizten jedenfalls nicht mit großen Worten. Von einer zeitgemäßen Architektur war an jenem Spätsommertag ebenso die Rede wie von einem "großstädtischen Format", welches zukünftig die weitere Entwicklung der Innenstadt von Solingen bestimmen sollte. Ja, die einfachen Baracken des Mühlenhofs, die aus Kriegstrümmern erbaut worden waren, galten manchem später sogar als Vorbild für andere "Geschäftsstraßen Westdeutschlands".

So weit war es 1949 allerdings noch nicht. "Händler, deren Häuser im Krieg zerstört worden waren, bekamen durch die Ladenlokale im Mühlenhof zunächst einmal lediglich die Gelegenheit, an einem festen Ort ihre Waren anzubieten", sagt Ralf Rogge, Leiter des Solinger Stadtarchivs. Und dabei war selbst dies nur in einem ausgesprochen bescheidenen Rahmen möglich.

Etwas mehr als 40 Geschäftsleute, die früher im alten Kern der Klingenstadt ansässig gewesen waren, teilten sich die "Shopping-Mall" der ersten Stunde. Viel Platz hatten sie nicht. Ganze 54 Quadratmeter warteten durchschnittlich hinter den Schaufensterfassaden auf die Kunden.

Dabei war das damals so etwas wie Standard. Bereits im Jahr 1946 waren auf Betreiben einzelner Händler am Neumarkt Baracken entstanden, um das Geschäftsleben in der Innenstadt wieder anzukurbeln. Weitere Behelfsbauten, zum Beispiel an der heutigen Konrad-Adenauer-Straße, folgten.

Dort gibt es bis in die Jetztzeit drei Ladenlokale, die aus der damaligen Epoche stammen und mit ihrer einen Etage fast so etwas wie eine letzte steinerne Erinnerung an die ersten Nachkriegsjahre in der Solinger Innenstadt sind. Heute ist in den Baracken unter anderem ein Wettbüro untergebracht.

Bis vor kurzer Zeit tat sich auch noch im Bereich Neumarkt eine dergestalte "Lücke" in der ansonsten längst wieder normal hohen Bebauung auf. Der Behelfsbau in unmittelbarer Nähe zum Busbahnhof am Graf-Wilhelm-Platz wurde erst vor wenigen Jahren im Zuge der Sanierung des Tückmantel-Hauses gleich nebenan abgerissen.

Ein solch langes "Leben" war den Bracken des Mühlenhofs gleichwohl nicht vergönnt. Die Gebäude, die auf Initiative eines sogenannten Solinger Aufbaukreises von Geschäftsleuten aus der Klingenstadt initiiert und errichtet worden waren, galten vom ersten Tag an lediglich als "Einkaufscenter" auf Zeit. Sie sollten nur so lange stehen, bis in der Innenstadt wieder größere, komfortablere Geschäftshäuser gebaut waren.

Ende der 50er Jahre waren die Tage des alten Mühlenhofs gezählt. Das Solinger Zentrum war in weiten Teilen vollkommen neu entstanden. Die Altstadt, die vielen Solingern vor dem Krieg wegen ihrer Enge und baulichen Heterogenität sowie aufgrund der an mancher Stelle unhaltbaren hygienischen Zustände fast schon peinlich gewesen war, wurde ungefähr bis zum Jahr 1960 durch eine neue, noch heute in großen Teilen bestehende City ersetzt.

Diese Innenstadt galt um 1960 ihrerseits als ausgesprochen modern — und ließ auch die Baracken des Mühlenhofs immer älter aussehen. 1961 hatten die Behelfsbauten darum endgültig ausgedient und sie wurden abgerissen.

Allerdings, der große Platz, der nun anstelle des Mühlenhofs entstand und mit seiner großzügigen Verkehrsführung seinerseits ein "städtebauliches Kind" der eigenen Epoche darstellte, war ebenfalls nicht der Weisheit letzter Schluss.

Denn an den Ort, an dem 1949 der zwischenzeitliche Aufstieg Solingens zu einer Einkaufsstadt für die ganze Region begonnen hatte, kehrte schließlich doch noch einmal der Konsum zurück. Im Jahr 2000 — und damit über ein halbes Jahrhundert nach der Eröffnung des Mühlenhofs — wurden die Clemens-Galerien ihrer Bestimmung übergeben.

Mit diesem neuen Shopping-Center waren erneut allerhand Hoffnungen verbunden. Wieder sollte die Solinger City einen Schub erhalten, ein weiteres Mal waren die Verantwortlichen sicher, einen städtebaulich großen Wurf gelandet zu haben.

Und einmal mehr erwiesen sich in der Klingenstadt allzu hochfliegende Hoffnungen als verfrüht. 12 Jahre nach ihrer Eröffnung gelten auch die Clemens-Galerien als nicht mehr optimal. Der Branchenmix wird kritisiert, manche ärgern sich darüber, dass das Ensemble kein in sich abgeschlossener Konsumtempel ist.

Abhilfe entsteht wenige Meter Luftlinie entfernt. Dort, wo bis 2011 das alte Karstadt-Gebäude mit dem Turmhotel aus den Jahren 1968/69 stand, wächst seit Beginn des laufenden Jahres Solingens jüngste Konsum-Hoffnung nach oben. 2013 soll der neue Hofgarten seine Tore öffnen. Das Einkaufszentrum soll zuletzt verlorene gegangene Kaufkraft zurück nach Solingen holen — was eine vergleichsweise bescheidene Vision ist.

Denn direkt nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurden in der Stadt für kurze Zeit sogar noch einmal alte Pläne aus den 20er und 30er Jahren diskutiert, das Zentrum an einer anderen Stelle im Stadtgebiet gleich ganz neu zu bauen.

Doch diese Vision war spätestens mit der Eröffnung des Mühlenhofs an jenem Spätsommertag im August 1949 endgültig zu den Akten gelegt.

(RP/ac)
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