Solingen Manche Kinder brauchen zwei Mütter

Solingen · Der Pflegekinderdienst bei der Stadt sucht dringend Familien, die ein Kind aufnehmen. Im Idealfall verstehen sich die leiblichen Eltern und die Pflegeeltern sehr gut. Derzeit leben 250 Kinder dauerhaft in Pflegefamilien.

Die beiden Frauen waren sich auf Anhieb sympathisch. So ist es der jungen Mutter nicht ganz so schwer gefallen, ihr gerade geborenes Kind in eine Pflegefamilie zu geben. Bereut hat es die heute 29-Jährige nicht, denn sie ist fest davon überzeugt, dass es ihre inzwischen fünfjährige Tochter sehr gut hat bei ihrer neuen Familie. "Bald fährt Leonie wieder im Urlaub auf der Aida", sagt die junge Mutter, deren Lebenssituation schwer war, als die Tochter geboren wurde. So hat sie sich selbst darum bemüht, dass ihr Kind in eine Pflegefamilie kommt. Noch bevor ihre Tochter auf die Welt kam, hat sie die neuen Eltern für ihre Tochter kennengelernt und festgestellt, dass alles passt.

Für Michaela Kaiser vom städtischen Pflegekinderdienst ein Glücksfall. Zusammen mit vier Kolleginnen ist sie für die dauerhaft in Vollzeitpflege lebenden Kinder zuständig. 250 Kinder sind das im Moment, 85 davon leben bei Verwandten der leiblichen Eltern.

Die Gründe, warum Eltern mit der Erziehung ihrer Kinder so überfordert sind, gestalten sich vielfältig. Akute Lebenskrisen, Drogen- oder Alkoholabhängigkeit, Inhaftierung, Gewalt in der Partnerschaft, Trennung, psychische Krisen, die einen Klinikaufenthalt nötig machen, können Gründe sein, wie Michaela Kaiser erläutert.

Leonies Pflegemutter hat viel Freude mit dem lebhaften und aufgeschlossenen Mädchen. Die Kleine ist inzwischen fünf Jahre alt und geht in den Kindergarten. Auch mit ihrer großen Schwester versteht sie sich gut. Die Zwölfjährige ist die leibliche Tochter von Leonies Pflegemutter. "Ich wollte mindestens drei Kinder haben, doch mein Mann und ich bekamen nur eine Tochter", schildert die 42-Jährige ihre Motivation, ein Kind in der Familie aufzunehmen. Zunächst habe man über Adoption nachgedacht. "Doch da machte man uns beim Jugendamt wenig Hoffnung", sagt die Bankkauffrau. Von der Möglichkeit der Dauerpflege hatte sie bis dahin noch nichts gehört, doch die Idee, ein Kind bis zu seiner Volljährigkeit aufzunehmen, zu erziehen und ihm Geborgenheit in einer intakten Familie zu geben, gefiel ihr gut. Kennengelernt haben sich die beiden Mütter von Leonie, als das kleine Mädchen noch gar nicht auf der Welt war. "Das war zu Nikolaus, am 3. Januar ist die Kleine geboren, einen Tag später haben wir sie zum ersten Mal gesehen und am 7. Januar zu uns nach Hause geholt", erinnert sich die Pflegemutter. Einmal im Monat fährt Leonie mit ihrer Pflegemutti ins Rathaus, um "Mama Alex" zu sehen, wie sie ihre leibliche Mutter nennt. "Wir spielen und schmusen, Leonie freut sich immer, mich zu sehen", sagt "Mama Alex".

Erfahrungsgemäß gibt es wenig Probleme, wenn die Kinder gleich in die Pflegefamilie kommen und nicht vorher schon viele andere Stationen durchlaufen mussten", sagt Michaela Kaiser. Natürlich sind sich alle Beteiligten darüber im Klaren, dass es auch Probleme geben kann. Leonies leibliche Mutter hat nach der Geburt ihrer Tochter noch zwei Kinder bekommen, die auch nicht bei ihr leben. Noch sind die beiden Jungen in Bereitschaftspflege. Ihre Mutter hofft, dass sie irgendwann einmal so gut untergebracht sind, wie die kleine Leonie.

Auch in deren Pflegefamilie hat sich etwas verändert. Die Pflegeeltern haben sich getrennt, die Fünfjährige lebt mit der großen Schwester und der Pflegemutter nun allein. Grundsätzlich kein Problem, wie Michaela Kaiser erläutert, auch Alleinerziehende können ein Pflegekind aufnehmen. Sie müssen allerdings finanziell unabhängig und nicht auf das Pflegegeld angewiesen sein. Leonies Pflegemutter arbeitet heute wieder halbtags in ihrem Beruf als Bankkauffrau. Als ihr Pflegekind klein war, wäre das nicht infrage gekommen. "Für Leonie bin ich drei Jahre in Elternzeit gegangen, länger als bei meiner leiblichen Tochter", sagt die 42-Jährige, und obwohl sich ihre Lebenssituation geändert hat, sie würde immer wieder ein Kind aufnehmen und ihm ein liebevolles Zuhause bieten. Schließlich hat sie sich schon immer mehrere Kinder gewünscht.

(RP)
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