Neuss Iphigenie unter bunten Taurern

Neuss · Regisseurin Antje Thoms hat aus Goethes Werk "Iphigenie auf Tauris" für ihre Inszenierung am Rheinischen Landestheater eine eigene Fassung konstruiert. Auf jeden Fall überzeugt die Bearbeitung in ihrer Optik.

 Der Barbar und die Griechin: Jürgen Berger als Thoas und Katharina Dalichau als Iphigenie.

Der Barbar und die Griechin: Jürgen Berger als Thoas und Katharina Dalichau als Iphigenie.

Foto: Anke Sundermeier

Das klingt nicht sonderlich vielversprechend: "Es passiert fast nichts!" erklären zwei seltsam bunt gekleidete Gestalten, die in den Saal hineinspazieren und sich aufbauen, als ob sie nach einem freien Platz in den vollen Zuschauerrängen suchten.

Und das soll knapp zwei Stunden dauern? Was schon bemerkenswert kurz ist, denn immerhin geht es in dieser Aufführung im RLT um ein Schwergewicht der deutschen Bühnenliteratur: "Iphigenie auf Tauris" von Johann Wolfgang von Goethe.

In Versform erzählt der Weimarer Dichterfürst die Geschichte der Tochter Agamemnons, die der Vater opfert, aber von der Göttin Diana gerettet und als ihre Priesterin auf die Insel Tauris gebracht wird. Dort, unter den Barbaren, ist jeder Fremde ein willkommenes Menschenopfer.

Aber Iphigenie ist nicht nur die erste, die überlebt, sondern sie überzeugt König Thoas sogar, vom blutigen Brauch abzulassen. Zehn Jahre lebt sie auf der Insel, als eines Tages zwei Fremde ankommen. Just als Thoas sie zu seiner Frau machen will.

Soweit der Inhalt, und es stimmt: Es passiert fast nichts. Goethes Text ist ein Diskurs über Menschlichkeit, über Fremdheit und Dazugehören, über Rache und Vergebung, über Sehnsucht und ein Übersichhinauswachsen. Sprachlich ein Juwel, aber den Zuhörer, Leser, Zuschauer sehr fordernd.

Thoms will es letzterem offensichtlich einfacher machen (sicherlich auch mit Blick darauf, dass das Stück Abiturstoff ist), dampft das Werk ordentlich ein und addiert neue Spielszenen dazu — wie den Anfangsauftritt von Thoas' Vertrauten Arkas (Richard Erben) und (dem erfundenen) Portas (Jonathan Schimmer) als flapsige Kommentatoren, die danach noch öfter heraustreten.

Während dieser Kunstgriff funktioniert, geht die Schlussszene dieser "Neusser Fassung" daneben. Dem friedlichen Ende bei Goethe — er lässt Iphigenie und die beiden Fremden, die sich als ihr Bruder Orest und dessen Freund Pylades entpuppen — ziehen, hängt Thoms ein anderes an. Thoas (großartig: Joachim Berger) schmalzt erst "The End of the World" und schließt dann mit einer Wutrede gegen die Feinde.

Frieden und Freundschaft also doch nur eine Idee? Angesichts des Allgemeinzustandes der Welt naheliegend, aber hier nur arg aufgesetzt und kein bisschen verstörend wirkend. Und Iphigenie, sonst auch gern als überirdisch kluges Wesen stilisiert, rückt an den Rand, wird allzu sehr zu einer jungen ungestümen Frau banalisiert. Katharina Dalichau hat es da schwer, sich zu behaupten — vor allem, als mit Michael Großschädl ein überaus kraftvoller Orest die Szene betritt.

Klassiker müssen auf ihre Aktualität überprüft und bearbeitet werden, aber Thoms baut zu viele Versatzstücke (auch aus anderen "Iphigenie"-Fassungen) zusammen und führt sie nicht zu einem neuen, in sich geschlossenen Ganzen führen. Optisch genial ist dagegen die Umsetzung von Ausstatterin Ivonne Theodora Storm, die die Fremdartigkeit der Taurer und ihres archaischen Gehabes mit einer Tracht aus knallbunten Strickanzügen betont. Für einen Theaterabend aber ist das etwas zu wenig.

(NGZ)
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