Serie: Vor 500 Jahren Die "schöne" Anna von Kleve

Kreis Viersen · Über eine historische Gestalt, die die Internationalität der Herzogtümer am Niederrhein unterstreicht.

 Anna von Kleve, Miniatur von Hans Holbeim von 1539.

Anna von Kleve, Miniatur von Hans Holbeim von 1539.

Foto: Victoria and Albert Museum, London

Kreis Viersen Das Herzogtum Jülich, zu dem große Teile des heutigen Kreises Viersen während der längsten Zeit ihrer überlieferten Geschichte gehörten, war mitnichten ein Zwerg-Territorium, wie es sie im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation in großer Zahl gegeben hat. Es reichte von Sinzig am Rhein bis nach Tegelen an der Maas. Seit 1510 wurde es in Personalunion mit dem Herzogtum Kleve regiert. Zusammen mit dem unter derselben Herrschaft befindlichen Herzogtum Berg und den Grafschaften Mark und Ravensberg machte es einen Großteil des heutigen Landes Nordrhein-Westfalen aus.

Die politische, wirtschaftliche und kulturelle Potenz dieser Ländermasse hat auch viele Generationen lang auf den Alltag der Menschen in Dülken und Brüggen, in Waldniel und Süchteln, in Breyell und Amern, Kaldenkirchen und Bracht eingewirkt, beispielsweise im Zeitalter der Reformation.

Der Herzog von Kleve-Jülich-Berg war, so würde man es heute vielleicht sagen, ein Player auf internationalem Parkett. Der Titel einer spektakulären Ausstellung, die 1984 in Kleve und Düsseldorf stattfand, nennt die genannten Territorien denn auch "Land im Mittelpunkt der Mächte".

 Die Territorien Jülich, Kleve, Berg, Mark und Ravensberg und das von Herzog Wilhelm dem Reichen an Kaiser Karl V. verlorene Geldern.

Die Territorien Jülich, Kleve, Berg, Mark und Ravensberg und das von Herzog Wilhelm dem Reichen an Kaiser Karl V. verlorene Geldern.

Foto: entnommen dem Katalogwerk "Land im Mittelpunkt der Mächte", 1984

Anna von Kleve, die Tochter Herzogs Johann III. von Kleve und der Maria von Jülich-Berg, ist ein nachdrücklicher Beleg für diese Feststellungen. Dass der König von England das Herzogshaus für ebenbürtig hielt, ist für sich alleine schon wert, an Anna von Kleve zu erinnern, auch wenn ihr Schicksal wenig glänzend war.

1515, vor 500 Jahren, wurde die Prinzessin geboren. Am Düsseldorfer Hof wurde sie in der Obhut ihrer Mutter erzogen. Ob und gegebenenfalls wie oft Anna von Kleve Burg und Amt Brüggen als junge Prinzessin besucht hat, wissen wir nicht. Wahrscheinlich ist es durchaus, dass sie auch im heutigen Kreis Viersen gewesen ist. Immerhin hat Prof. Dr. Margret Wensky im soeben erschienenen Jubiläums-Buch über Bracht darauf hinweisen können, dass Annas ein Jahr jüngerer Bruder, der namhafte Herzog Wilhelm V., der Reiche, von Kleve-Jülich-Berg, sich wiederholt zur Jagd in den Brachter Wald begab.

Es muss hier davon abgesehen werden, das komplizierte internationale dynastische und politische Beziehungsgeflecht zu entflechten, das im Umfeld des Ehevertrages zwischen Heinrich VIII. von England und Anna von Kleve entstanden war. Unter anderem ging es Annas inzwischen regierendem Bruder um starke Verbündete in seinem Kampf um Geldern, den er 1543 gegen den Kaiser verlieren sollte.

Premierminister Thomas Cromwell gab 1539 den Auftrag, die Möglichkeiten einer Ehe zwischen Heinrich VIII. und Anna zu sondieren. Ausgehandelt wurde ein Ehevertrag, in dem unter anderem ein Brautschatz von 100.000 Gulden festgelegt wurde.

Der Maler Hans Holbein lieferte ein schönes und wohl stark beschönigendes Porträt Annas, das Heinrichs VIII. Verlangen nach der Herzogstochter vom Niederrhein steigern mochte. Der englisch-klevische Vertrag mit der kunstvollen Initiale H für Henricus, der sich heute im Landesarchiv in Duisburg befindet, wurde im Januar 1540 geschlossen. Heinrich VIII. von England und Wilhelm der Reiche von Kleve-Jülich-Berg versprachen sich ewige Freundschaft. Die erste Begegnung des Königs mit Anna freilich war ein Desaster. Die von Holbein gemalte Schönheit war Anna nicht, und das allseits bekannte Schicksal von Heinrichs vierter Frau nahm seinen Lauf. Die Ehe, von der Heinrich sogar behauptete, sie wäre nie vollzogen worden, wurde schon im Juli 1540 geschieden. Mit einer üppigen Pension ausgestattet, lebte Anna fortan auf dem ihr zugewiesenen Schloss Richmond und durfte den Titel einer "guten Schwester des Königs" führen. Anna von Kleve starb 1557 in England. Ihre Heimat hat sie nie wieder gesehen.

Anna hatte eine ältere Schwester Sybille, die Kurfürst Johann Friedrich den Großmütigen von Sachsen heiratete. Er war neben Philipp von Hessen einer der wichtigsten politischen Führer der Reformation. Die berühmten Gemälde von Sybille und Johann Friedrich von Lucas Cranach d. Ä. sind heute in den Kunstsammlungen in Weimar zu sehen. In der Tat: der Niederrhein war ein "Schauplatz europäischer Geschichte", was in der ersten Ausstellung des "Salons" in Viersen 2014/15 eindrucksvoll gezeigt wurde.

(prof)
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