Hilden Mehr Sicherheit durch weniger Regeln?

Hilden · Verkehrsräume, in denen Teilnehmer selbst die Regelung übernehmen - eine Alternative zur fehlenden Grünen Welle?

Für den Auslandskorrespondenten Ulrich Wickert war es ein lebensbedrohliches Experiment. In einem Fernsehbeitrag des Jahres 1984 stand er am Rande des Kreisverkehrs am Place de la concorde und stürzte sich todesmutig in das Verkehrsgewimmel. Scheinbar ohne nach rechts und links zu sehen, überquerte er die dicht befahrenen Straßen, um endlich heil am gegenüberliegenden Ende des Kreisverkehrs wieder aufzutauchen. Seine Botschaft: In Frankreich marschiert man einfach los, die anderen passen schon auf.

Anarchie im Straßenverkehr - was in südlichen Ländern scheinbar mühelos gelingt, davon träumen Stadtentwicklungsplaner auch auf deutschen Straßen und Plätzen. "Shared Space" heißen diese Freiräume, übersetzt: "Geteilter Raum". Dahinter steckt die Idee, im Straßenraum auf Verkehrszeichen, Signalanlagen und Fahrbahnmarkierungen zu verzichten. Die Verkehrsteilnehmer sollen gleichberechtigt, der motorisierte Verkehr nicht dominant sein. Durch diese "Entregelung" wird gewollte Unsicherheit erzeugt, die zur Aufmerksamkeit zwingt. Eben genauso wie am Place de la concorde. Die Niederlande, Duisburg, Mettmann - dort gibt es bereits einige ungeregelte Plätze.

"Shared Space" - eine Alternative für "Hilden an der Ampel"? Womöglich eine Hilfe auf dem Weg zum besseren Verkehrsfluss, der so vielen Hildenern fehlt? Harald Mittmann, Leiter des Tiefbauamts, winkt ab. "Die Verkehrsmentalität von Autofahrern in Deutschland ist nicht so, wie in anderen Ländern. Ich weiß nicht, wie die Verkehrsunfallzahlen in diesen Ländern aussehen." Doch er nimmt an, dass sie höher liegen als hierzulande. Und auch Bernd Pabst, Berater bei einer Ingenieurgesellschaft und Gutachter für Hilden, betont: "In Hilden wäre das überhaupt nicht praktikabel. Ich könnte mir in Hilden keine Ampelanlage vorstellen, die durch ,shared space' zu ersetzen wäre."

Dabei wird der Ruf nach derlei Plätzen immer wieder laut und manchmal auch umgesetzt. So zum Beispiel in Mettmann, wo die Fläche vor dem "Kö-Karree" zum Shared Space erklärt wurde. Auch der Bahnhofsvorplatz in Duisburg ist entregelt. Mittmann sieht darin jedoch keine erfolgreichen Versuche. "Wir sind Straßenbaulastträger und Straßenverkehrsbehörde. Und als solche haben wir für sichere Verkehrswege zu sorgen." Bei Shared Space-Modellen seien besonders Radfahrer und Fußgänger im Hintertreffen. "Und ich denke, dass wir sehr gut daran tun, die schwächeren Verkehrsteilnehmer zu schützen."

Das sieht der Allgemeine Deutsche Fahrradclub (ADFC) entspannter: "Die Grundidee des Ansatzes wird vom ADFC positiv gesehen", heißt es in einem Positionspapier des Clubs. Besonders geeignet für "Shared Space" seien Straßenräume und Kreuzungen mit einer größeren Zahl von Fußgängern und Radfahrern sowie einem erhöhten Querungsbedarf, schreibt Arne Koerdt, Verkehrsplaner und Leiter der Fahrradakademie in Berlin, der das Positionspapier mit dem ADFC erarbeitete. "Die sich kreuz und quer über den Straßenraum bewegenden Verkehrsteilnehmer führen zu einer Verkehrsberuhigung", glaubt er.

Tatsächlich, das muss auch Mittmann zugeben, gibt es auch in Hilden schon "Shared Space"-Zonen. Denn immer dort, wo Plätze und Straßenzüge verkehrsberuhigt oder zu Spielstraßen umfunktioniert wurden, sind Fußgänger, Radfahrer und die langsam fahrenden Autofahrer weitgehend gleichberechtigt. Für weitere entregelte Plätze biete Hilden jedoch "keine Kapazitäten", sagt Mittmann.

Übrigens: In der Arte-Sendung "Karambolage" wurde viele Jahre nach Ausstrahlung des Filmbeitrages von Ulrich Wickert der Gegenbeweis geführt: Die Überquerung des Place de la concorde hat so nie stattgefunden. Es ist ein Film, der aus mehreren Versatzstücken zusammengeschnitten wurde. Es war wohl auch dem francophilen Ulrich Wickert zu gefährlich, "Shared Space" am eigenen Leibe auszutesten.

(RP)
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