Duisburg Noch viel zu tun in Haiti

Duisburg · Am 12. Januar jährt sich das verheerende Erdbeben in Haiti zum zweiten Mal. Hunderttausende Menschen kamen dabei ums Leben. Noch immer ist die Situation dramatisch, so Katja Anger von der Kindernothilfe.

 Katja Anger arbeitet seit eineinhalb Jahren in Haiti.

Katja Anger arbeitet seit eineinhalb Jahren in Haiti.

Foto: privat

Buchholz Katja Anger ist seit eineinhalb Jahren im Auftrag der Kindernothilfe vor Ort in Haiti. Sie berichtet, was sich in den vergangenen zwei Jahren nach dem Erdbeben dort getan hat.

Wie ist die Situation zwei Jahre nach dem Erdbeben in Haiti. Was hat sich seitdem dort getan?

Anger Die Situation hat sich seitdem verbessert, ist jedoch noch immer dramatisch. Von anfänglich 1,5 Millionen Menschen leben noch immer rund 500 000 in den Zeltlagern. Sie müssen mit Medikamenten und Nahrung versorgt werden, da sie bei dem Erdbeben alles verloren haben und viele keine Arbeit finden. Einige große Lager werden sich wohl zu dauerhaften Stadtteilen verfestigen. Diese werden aber nur funktionsfähig sein, wenn die Bewohner Geld verdienen und gemeinsam Verantwortung übernehmen können. Dazu brauchen sie weiterhin internationale Unterstützung.

Wie machen das die Helfer der Kindernothilfe vor Ort?

Anger Vor allem mit Bildung: In Sineas beispielsweise, einem der größten Lager von Port-au-Prince, in dem noch immer 18 000 Menschen leben, bieten wir nun auch Unterricht für Jugendliche und Erwachsene an. Mit Alphabetisierungs-, Handwerks- und Wirtschaftskursen lernen sie etwa, ein kleines Geschäft erfolgreich aufzubauen. Gleichzeitig läuft unsere direkte Arbeit für Kinder weiter. In unseren Kinderzentren sind sie geschützt, werden versorgt, können lernen und einfach nur Kind sein.

Wie gestaltet sich der Aufbau?

Anger Der geht jetzt mit großen Schritten voran. Drei von neun geplanten Schulen — allesamt in Armutsvierteln und abgelegenen Bergdörfern — konnten wir bereits fertigstellen. Zudem legen wir gerade das Fundament für eine der größten Schulen Haitis. 1400 Kinder können hier bald wieder lernen. Und zwar ohne Angst vor weiteren Katastrophen haben zu müssen, denn das Gebäude wird erdbeben- und hurrikansicher sein. Insgesamt erschweren viele widrige Umstände aber weiterhin den Wiederaufbau in Haiti.

Welche zum Beispiel?

Anger Bis heute sind etliche Grundbesitzverhältnisse ungeklärt, da die Unterlagen entweder beim Beben verschüttet wurden oder es nie welche gab. Zudem sind auch vielerorts Schuttberge immer noch nicht abgetragen. Besonders schwierig ist die Unterstützung der Menschen außerhalb der Städte. Die Bergdörfer, in denen wir Schulen errichten, sind extrem schwer zugänglich. Baumaterialien müssen zu Fuß transportiert werden, teilweise mit acht Stunden langen Märschen. Aber die Haitianer sind sehr engagiert und bringen sich mit ein. Das ist uns sehr wichtig. Wir haben auch haitianische Baufirmen engagiert, damit das Geld im Land bleibt.

Sie sagen, die Haitianer engagieren sich. Doch wie sieht es mit der Regierung aus?

Anger Hier gibt es große Hürden. Bei dem Erdbeben wurden 13 von 17 Ministerien zerstört, viele Regierungsmitglieder kamen ums Leben. Das brachte komplexe Probleme mit sich. Die Regierung hat sich gerade erst neu aufgestellt. Im November waren Präsidentschafts- und Parlamentschaftswahlen. Nun muss sie sich bewähren, etwa beim Thema Korruption. Die hatte sich nach dem Beben nämlich verschlimmert: Baugenehmigungen sollten oft gegen Schmiergeld ausgestellt werden - doch darauf haben wir uns nicht eingelassen.

Wie sieht es mit der Finanzierung der Wiederaufbauprojekte aus? Ist noch genügend Geld vorhanden?

Anger Für die Gebäudefinanzierungen reicht das Geld. Doch Gebäude alleine werden Haiti nicht zu einem wirklichen Neuanfang verhelfen können. Schulen etwa müssen betrieben und instand gehalten werden. Langfristig ist das natürlich Aufgabe Haitis und seiner Bürger. Bis dahin ist es aber noch ein weiter Weg, das Land war schon vor dem Beben eines der ärmsten der Welt. Wir wollen die Haitianer mit langfristigen Entwicklungsprojekten auf dem Weg begleiten und rufen deshalb auch weiterhin noch zu Spenden für Haiti auf.

Spenden denn die Menschen noch weiter viel für Haiti?

Anger Leider nur noch wenige. Einige Menschen scheinen die Erdbebenkatastrophe sogar schon vergessen zu haben. Viele Menschen hören, dass ich in Haiti lebe, und finden das toll. Ich weiß nicht, ob sie es mit Tahiti oder Hawaii verwechseln. Sie erinnern sich meist nur dunkel an ein Erdbeben.

Glauben Sie, dass viele der Meinung sind, die Situation sei dort wieder unter Kontrolle?

Anger Das kann schon sein. Das Beben ist jetzt zwei Jahre her. Doch man muss sich vor Augen führen: In Deutschland, wo alles perfekt funktioniert, dauert es drei Jahre, ein Haus zu bauen. In Haiti liegen die Städte und Dörfer noch immer unter fast 800 000 Kubikmetern Schutt begraben. Es gibt nicht genug Bagger. Hunderttausende Häuser wurden zerstört.

Was ist das nächste große Projekt der Kindernothilfe?

Anger Der Wiederaufbau der Schulen wird noch einige Zeit in Anspruch nehmen. Die Kindernothilfe plant unter anderem, ihr Selbsthilfegruppen-Programm in Haiti auszubauen. Das ist ein besonders effektiver Ansatz, um die Menschen wirtschaftlich, sozial und politisch zu stärken. Zudem wollen wir mithelfen, die lokalen Akteure besser zu vernetzen. Die Haitianer sollen wieder in die Lage kommen, sich selbst helfen zu können.

(RP/rl)
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