Oberkassel Suche nach dem individuellen Ausdruck

Oberkassel · Rosanna Becker porträtiert für ihr Leben gern. Menschen, die direkt vor ihr sitzen oder die sie von Weitem auf der Straße gesehen hat – mit Bleistift, Kohle, Rötel und Pastellkreide. Ein Atelierbesuch.

 Rosanna Becker hat sich das Zeichnen selbst beigebracht. Im Mittelpunkt ihres künstlerischen Interesses steht der Mensch.

Rosanna Becker hat sich das Zeichnen selbst beigebracht. Im Mittelpunkt ihres künstlerischen Interesses steht der Mensch.

Foto: Paul Esser

Rosanna Becker porträtiert für ihr Leben gern. Menschen, die direkt vor ihr sitzen oder die sie von Weitem auf der Straße gesehen hat — mit Bleistift, Kohle, Rötel und Pastellkreide. Ein Atelierbesuch.

Eigentlich war es nur ein Spaß. Als Rosanna Becker mit Mitte 20 zum ersten Mal jemanden porträtierte, war das eine spontane Aktion. Doch die Porträtierte, eine Freundin, habe sie so gut getroffen, dass man sie auf den ersten Blick erkannt habe. "Sie war es", berichtet die Zeichnerin, als sei sie heute noch verwundert darüber. "Das war mein Schlüsselerlebnis", fügt sie hinzu. Heute ist Rosanna Becker 67 Jahre alt. Wie viele Menschen sie seit diesem prägenden Erlebnis gezeichnet hat, weiß sie selbst nicht mehr. Aber mehrere Hundert waren es bestimmt.

Mit Bleistift, Kohle, Rötelstift und Pastellkreide bringt Rosanna Becker die Gesichter in ihrem Atelier an der Columbusstraße zu Papier — hoch oben im dritten Stock eines Jugendstilhauses mit inspirierendem Ausblick auf den Rhein. Einen Malkursus oder gar eine Kunsthochschule hat sie nie besucht. "Ich habe mir das alles selbst beigebracht."

Beruflich schlug die Oberkasselerin eine ganz andere Laufbahn ein, nämlich die der Krankenschwester. Sie sieht jedoch Parallelen in den Tätigkeiten. Der Mensch sei das verbindende Element. "Er steht für mich als Geschöpf Gottes im Mittelpunkt", sagt sie. In ihren Porträts möchte sie seine individuelle Ausdruckskraft betonen. "Ich finde es faszinierend: Milliarden von Menschen haben zwei Augen, eine Nase und einen Mund — aber jeder sieht anders aus."

Ihre Porträts dienen nicht der Schönfärberei. Zwar sind auch hübsche Gesichter darunter, aber darum geht es der Hobby-Künstlerin nicht. Vielmehr interessiert es sie, Menschen in verschiedenen Lebensphasen und Situationen zu zeichnen — auch in undekorativen. Diese Motive könnten manchmal sogar die interessanteren sein. Besonders beeindruckt etwa hat sie das Gesicht einer alten Frau, das vor Schmerz ganz verzerrt war. "Das habe ich gesehen und musste es sofort zeichnen. Ich wollte schauen, ob ich es hinbekomme." Mit dem Ergebnis ist sie zufrieden: Die Frau hat die Augen geschlossen, den Mund leicht geöffnet. Ihr Gesicht ist von tiefen Falten durchzogen, die von einem bewegten Leben zeugen.

Oft malt Rosanna Becker frei oder auch aus dem Gedächtnis heraus. Die Inspiration klopft meist unverhofft an ihre Tür. So kann es beispielsweise sein, dass sie auf dem Weg zum Bäcker um die Ecke jemanden auf der Straße sieht, den sie interessant findet — zurück im Atelier wird er dann zum Kunstobjekt. Am liebsten ist ihr jedoch, wenn der Porträtierte direkt vor ihr sitzt. Da lässt sich seine Individualität besser ausarbeiten.

Gern nutzt sie außerdem ihr Talent, um ihren Mitmenschen eine Freude zu machen: So hat sie etwa die ganze Grundschulklasse ihres einen Sohnes porträtiert — jedes Kind einzeln, versteht sich — und hinterher haben die Mütter die Bilder für eine Spende ans SOS-Kinderdorf erworben. Und das Mädchen, dem sie eine Zeit lang im Auftrag der italienischen Botschaft Nachhilfe gab, hat sie immer wieder durch kleine Zeichnungen in ihr Übungsheft motiviert. "Das hat der Kleinen wirklich geholfen."

Italienische Botschaft? Ja, Rosanna Becker ist Halb-Italienerin und stammt aus Südtirol. Der Liebe wegen kam sie vor acht Jahren nach Düsseldorf. Mit Blick auf den Rhein zeichnet es sich außerdem viel besser.

(RP)
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