Düsseldorf "Zorn" ohne Emotionen

Düsseldorf · Enttäuschendes Stück von Joanna Murray-Smith am Düsseldorfer Schauspielhaus.

Für tolerante Eltern ist es die totale Niederlage: Joe hat eine Moschee besprüht. Nachts hat sich der Junge aus dem gediegenen Haus der Eltern geschlichen und seine Wut an eine Wand geschrieben. Nun sind Polizei und Schule alarmiert, und die Eltern, Patrick und Alice Harper, müssen sich rechtfertigen - auch voreinander.

Zeitgenössische Gesellschaftsstücke stellen gern die Keimzelle Familie auf die Bühne, konstruieren einen Krisenfall und beobachten, wie wohlmeinende Bürger ihre Ideale verraten und wie die Heucheleien ihres Lebens zutage treten. Mit diesem Verfahren hat Yasmina Reza in ihrem erfolgreichen "Gott des Gemetzels" vorgeführt, wie schnell höfliche Akademiker im Streit zu Barbaren werden. Die australische Dramatikerin Joanna Murray-Smith macht es ihr nun nach, hat es in ihrem Stück "Zorn" aber auf Toleranz und Idealismus abgesehen und führt zwei Gutmenschen vor, die versuchen, mit größtmöglicher individueller Verantwortung zu leben, eigene Schuld aus der Vergangenheit aber effektiv verdrängen.

Man kennt das Muster. Und so verläuft das Stück, das jetzt am Düsseldorfer Schauspielhaus Premiere hatte, auch vollkommen absehbar: Eine vorbildliche Kleinfamilie wird vorgestellt, dann demontiert sie sich selbst, und die Handlung nimmt die erwarteten Wendungen. Leider fällt auch Regisseur Tobias Materna wenig ein, um das Stück aus der Routine zu reißen. Er lässt in einem quadratisch-praktischen Klötzchen-Bühnenbild spielen, in einem belanglosen abstrakten Innenraum. Dort müssen die Schauspieler in konstruierten Dialogen Ansichten zu Mann-Frau-Verhältnis, Lebensträumen, Lebenslügen, zu Naivität und Radikalität aufsagen, in denen wenige Gedanken aufblitzen, die man nicht schon mannigfach gehört hätte.

Das färbt ab aufs Spiel. Gleich in der ersten Szene gibt Katrin Hauptmann allzu brav eine junge Journalistin, die gekommen ist, die angesehene Gehirnforscherin Alice Harper zu interviewen. Auf diese bequeme, wenn auch wenig originelle Weise erfährt der Zuschauer alles, was er zum Einstieg wissen muss. Doch Franziska Walser, die man am Düsseldorfer Schauspielhaus im Goethe-Jelinek-Abend "FaustIn and out" schon ganz anders erlebt hat, blüht nun nicht auf. Sie verpasst die Chance, ihren Zuschauern durch ihr Spiel, ihre Mimik, ihre Körpersprache zu zeigen, was für eine anmaßende, hochmütige Frau diese Alice Harper ist. Walser sitzt fest auf einem Klotz, beantwortet die Fragen der Journalistin uninspiriert, fast teilnahmslos. Und auch der Regie fällt nichts ein, die Schauspieler aus den starren Szenen zu befreien.

Das setzt sich so fort. Gregor Löbel gibt den islamophoben Sohn Joe und kann zwar bockig wie ein Teenager in die Luft starren, doch Trotz ist auf Dauer auch wenig abwechslungsreich. Einzig Marcus Calvin als Vater Harper spielt sich gelegentlich ein wenig in Rage. Allerdings beunruhigt das niemanden, am wenigsten die anderen Darsteller auf der Bühne.

Joanna Murray-Smith ist die derzeit erfolgreichste Dramatikerin Australiens, und es ist eine Gabe, Well-made-Plays zu schreiben, die unterhalten und berühren. "Zorn" aber ist zu glatt, routiniert, wohlkalkuliert geraten. Dieses Stück geht so gut auf, dass nichts zurückbleibt.

"Zorn", Kleines Haus, Düsseldorfer Schauspielhaus, Karten: 0211/ 36 99 11

(RP)
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