Holocaust-Überlebende in Düsseldorf „Wo ich war, geschahen Wunder“

Düsseldorf · Halina Birenbaum berichtet Schülern von ihrem Leben als polnische Jüdin im zweiten Weltkrieg.

 Halina Birenbaum hat den Holocaust überlebt. Davon erzählen möchte die 89-Jährige noch, bis sie 100 ist.

Halina Birenbaum hat den Holocaust überlebt. Davon erzählen möchte die 89-Jährige noch, bis sie 100 ist.

Foto: Bretz, Andreas (abr)

Auf der Bühne des Kom(m)ödchens stehen ein bequemer Stuhl und ein kleiner Tisch, darauf ein Glas Wasser. Doch Halina Birenbaum setzt sich nicht. Auch das Wasser rührt sie nicht an.

Eineinhalb Stunden lang steht die 89-Jährige aufrecht auf der Bühne. In gebrochenem Deutsch, gefärbt von ihren Muttersprachen Polnisch und Hebräisch, erzählt sie von dem Leid im Warschauer Ghetto, dem Tod ihrer Mutter im Konzentrationslager Majdanek, dem Schuss eines Soldaten, der sie im Vernichtungslager Auschwitz traf. Die rund 120 Schüler lauschen ihren Worten gebannt. „So konzentriertes Zuhören, das haben wir im Unterricht selten“, bemerkt Frank Buschmann, Lehrer der Lore-Lorentz-Schule.

Seit 2004 fahren die Schüler des Berufskollegs wegen Buschmanns Bemühungen regelmäßig zum Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau. Ständiger Wegbegleiter: Halina Birenbaums Buch „Die Hoffnung stirbt zuletzt“. Zweimal konnten die Schüler sie in Polen bereits persönlich treffen. Ein Schüler-Brief bewegte die Zeitzeugin dazu, aus dem israelischen Haifa nach Düsseldorf zu reisen, um den Jugendlichen noch einmal persönlich von ihrem Leben zu erzählen.

1929 in Warschau geboren, überlebte sie nach dem deutschen Überfall auf Polen und der Zwangsübersiedlung ins Warschauer Ghetto die Vernichtungs- und Konzentrationslager Majdanek, Auschwitz-Birkenau, Ravensbrück und Neustadt-Glewe. „Zu Beginn glaubten wir, der Krieg wird schnell zu Ende sein“, erinnert sich Birenbaum. „Wir dachten, die anderen Völker würden schon nicht zulassen, dass Hitler seine Pläne umsetzt.“

Was folgte, waren Jahre des Versteckens, des Hungers, der ständigen Angst. Als sie zwölf war, wurde ihr Schulhof zum Umschlagplatz für die Deportationen in die umliegenden Konzentrationslager. Wenige Monate später wurde ihr Vater von einer Gruppe Polizisten zu Tode geprügelt. „Ich habe nicht einmal ein Foto von ihm“, erzählt Birenbaum gefasst, „das einzige, was mir bleibt, ist das Bild in meinem Kopf.“ Mit 13 gelangte sie mit Zwischenstopp in Majdanek nach Auschwitz. „Sag, dass du 17 bist und mach dich groß, schwache Kinder brauchen sie hier nicht“, befahl ihr ihre Mutter vor der ersten Selektion. Wenige Minuten später ging sie in die Gaskammer.

Wie Birenbaum selbst es geschafft hat, all das zu überleben? „Überall, wo ich war, geschahen Wunder. Das Unmögliche ist möglich geworden“, sagt sie. Mit 15 wurde sie aus dem Konzentrationslager Neustadt-Glewe befreit. Im Zug zurück nach Polen schaute sie aus dem Fenster. „Als ich sah, wie schön es in Deutschland war, wurde mir klar, dass hier niemand wusste, was die Soldaten uns angetan haben“, sagt Birenbaum. „Da beschloss ich: Ich muss ihnen von dem erzählen, was mir passiert ist.“

Die Schüler nutzten ihren Vortrag im Kom(m)ödchen, um ihr Fragen zu stellen. Wann sie aufgehört habe, die Deutschen zu hassen, will eine Schülerin wissen. „Ich hatte Angst vor den Deutschen, aber gehasst habe ich sie nie“, sagt Birenbaum. „Für Hass muss man Zeit haben und ich war damit beschäftigt, stark zu werden, um den Tag zu erleben, an dem sie uns nicht mehr verfolgen.“

Ein anderer Schüler fragt, was sie sich für die Zukunft der Menschheit wünsche. „Die Menschen sollen sehen, was Hass bringt“, antwortet Birenbaum. „Jeder soll sein, wie er ist, aber nicht stolz darauf. Man darf stolz auf das sein, was man macht, aber nicht darauf, Pole oder Deutscher zu sein.“ Dafür erhält sie vom Publikum augenblicklich tosenden Beifall.

Die Jugendlichen sind sich der Relevanz des Themas bewusst. „Wenn heutzutage rechte Parteien wieder mehr Zustimmung erfahren, ist es wichtiger denn je, sich mit der Geschichte auseinanderzusetzen“, sagt Schüler Mink Dahmen. „Wenn es die Generation, die den Holocaust miterlebt hat, nicht mehr gibt, ist es unsere Pflicht, die Erinnerungen am Leben zu halten.“

Halina Birenbaum möchte ihre Geschichte noch einige Jahre erzählen – mindestens bis zu ihrem 100. Geburtstag, sagt die 89-Jährige. Im Kommödchen dankten die Schüler ihr für diesen Einsatz mit stehenden Ovationen.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort