Düsseldorf Großeltern und Enkel auf Spurensuche

Düsseldorf · Ferienaktion der Mahn- und Gedenkstätte: Ältere berichten aus der Zeit des Nationalsozialismus.

Wo steht denn das Ehra-Denkmal, das an die von den Nazis ermordeten Sinti und Roma erinnert? Sigrid Möller, Jahrgang 1935 und gebürtige Düsseldorferin, kennt sich in ihrer Heimatstadt bestens aus. Aber die kleine Skulptur am Alten Hafen, die ein Sinti-Mädchen mit einem Ball zeigt und von dem Düsseldorfer Künstler Otto Pankok geschaffen wurde, war der studierten Juristin bislang nicht geläufig.

Sigrid Möller nahm gestern gemeinsam mir ihrem Mann Albrecht und ihren beiden Enkeln Philipp und Johann an einer Ferienaktion der besonderen Art teil: Die Mahn- und Gedenkstätte hatte Großeltern und ihre Enkel eingeladen, auf Spurensuche in der Altstadt zu gehen. Dabei wurden zum einen Wirkungsstätten der Nazis aufgesucht, zu anderen ging es um die Erinnerungen, die die beteiligten Großeltern noch an diese Zeit haben. Mit Möllers waren ein weiterer Großvater aus Ratingen und sein Enkel sowie eine Düsseldorfer Großmutter mit ihrer Enkelin dabei. Zusammen besichtigte man als Erstes den Marktplatz vor dem Rathaus, wo alljährlich zu "Führers Geburtstag" am 20. April die Neuzugänge der Hitler-Jugend vereidigt wurden. Die Teilnehmer versuchten gemeinsam, sich vorzustellen, was die zehn- bis 14-jährigen Jungen empfunden haben mögen, als sie da vor rund 70 Jahren auf den Diktator eingeschworen wurden? Und was wohl ihre jüdischen Altersgenossen angesichts dessen empfanden.

Was das unsägliche Wort "Arisierung" bedeutet, erfuhren die Enkel bei der nächsten Station, dem Carsch-Haus: Das gehörte nämlich anfangs einer Düsseldorfer Familie jüdischer Konfession, die aber dann ihr Warenhaus auf Druck der Nationalsozialisten an eine nichtjüdische Familie verkaufen musste.

Mehr noch als diese Besichtigungstour, die einmal nicht die Glanzseiten der Stadt im Blick hatte, waren es an diesem Tag die Erzählungen der Großeltern über ihre eigene Kindheit in Krieg und NS-Zeit, die bei den Enkeln offenbar nachhaltigen Eindruck hinterließen. "Das habe ich so noch nicht von Dir gehört", war fast einheitlich die Reaktion bei allen Kindern, nachdem Oma und Opa berichtet hatten. Sei es Erhard Stracke, der bis zu seinem vierten Lebensjahr im heute polnischen Swinemünde lebte und später in Wuppertal aufwuchs. "Wir Kinder fanden es spannend, in den Häuserruinen herumzuklettern. Aber dabei sind auch einige zu Tode gekommen." Die Erinnerung an die vielen Bombenangriffe gehen Elisabeth Schauer, ebenfalls Jahrgang 1935, nicht aus dem Sinn. "Wir wohnten an der Gladbacher Straße, und ich habe das Gefühl, wir waren fast nur im Luftschutzkeller." Auch Sigrid Müllers erste Kindheitserinnerung geht zurück auf die Bombennächte: "Meine Mutter holte mich nachts aus dem Bett und trug mich in einer Decke hinunter." Noch heute ist ihr die Silhouette der ausgebombten Häuser gegenwärtig. Und ihr Gefühl bei Kriegsende: "Endlich war die Angst weg."

(RP)
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