Kampf gegen Christbaum-Plantagen

Im Sauerland wollen Anwohner den zunehmenden Anbau von Weihnachtsbäumen stoppen. Die wachsenden Plantagen reichen inzwischen bis an die Grundstücke heran. Die Pflanzenschutzmittel, die zum Einsatz kommen, sind laut Naturschutzbund Nabu gesundheitsgefährdend.

Nuttlar/Hochsauerlandkreis Sein 1000-Quadratmeter-Garten in Nuttlar im Hochsauerlandkreis war immer Horst Funkes ganzer Stolz: Liebevoll gehegte Brombeerhecken stehen dort neben Johannisbeersträuchern und einem kleinen Apfelbaum, von der Sitzecke ließ sich früher herrlich über den angrenzenden Wald blicken. In diesem Sommer hat der 72-Jährige kaum mehr als einmal dort gesessen, denn aus dem Wald ist eine Weihnachtsbaum-Plantage geworden, auf der regelmäßig Pflanzenschutzmittel gespritzt werden. "Und das direkt an der Grundstücksgrenze!", schimpft Funke. So wütend wie er sind viele Anwohner. Sie wollen den wachsenden Weihnachtsbaumanbau im Sauerland – Lieferant jedes dritten Weihnachtsbaums in Deutschland – per Gesetzesänderung stoppen.

Als vor wenigen Wochen Fahrzeuge weitere Hänge rodeten, schickten Anwohner einen von 136 Nachbarn unterschriebenen Brief an NRW-Umweltminister Johannes Remmel (Grüne). Darin fordern sie ein Verbot weiterer Weihnachtsbaum-Plantagen im Hochsauerlandkreis, strengere Auflagen für die Verwendung von Pflanzenschutzmitteln und Kontrollen der Einhaltung. "Die Verschandelung der Landschaft, die touristische Entwertung ist das eine", sagt Claudia Wegener von der Initiative "Giftfreies Sauerland". Vor allem gehe es um eine geruchliche und mögliche gesundheitliche Beeinträchtigung durch die Herbizide.

Hintergrund ist eine Gesetzeslücke: Als der Orkan Kyrill 2007 über NRW fegte, wurden auch im Sauerland große Flächen frei. Sie sollten Schritt für Schritt wieder aufgeforstet werden – bevorzugt mit Nordmann- oder Nobilistannen, die zu den beliebtesten Weihnachtsbäumen gehören. Obwohl die Bäume alle sieben bis acht Jahre abgeerntet werden, gilt ihr Anbau formal als Aufforstung. Die Folge sind deutlich großzügigere Bestimmungen, etwa, was die Festlegung von Abständen und die Verwendung chemischer Mittel angeht.

Als gesundheitsgefährdend stuft der Naturschutzbund NRW (Nabu) den Wirkstoff Glyphosat ein, der in vielen Herbiziden wie Roundup enthalten ist und dafür sorgt, dass der Beiwuchs komplett vernichtet wird. "Das Mittel kann Augen und Haut reizen und Allergien auslösen", sagt Nabu-Sprecherin Birgit Königs. Eine aktuelle Studie des Verbands kommt darüber hinaus zu dem Ergebnis, dass das Mittel krebserregend sein kann. "Es wirkt sich negativ auf die embryonale Entwicklung aus und greift in den Zellstoffwechsel ein." Das bislang als ungefährlich eingestufte Mittel wird 2012 durch das Bundesamt für Verbraucherschutz neu bewertet. "Aus unserer Sicht kann auf dieser Grundlage nur ein Verbot des Mittels erfolgen", sagt Königs.

Ein missbräuchlicher Einsatz ist der Landwirtschaftskammer NRW indes nicht bekannt. Sie kontrolliert in diesem Jahr besonders intensiv Geräte, Verwendung und Dosierung der Herbizide. Bei ordnungsgemäßer Anwendung sei das Mittel unbedenklich. "Weihnachtsbäume sind nicht giftig", betont Sprecher Bernhard Rüb. Im Gegenteil: "Viele Bäume aus dem Sauerland könnte man als Salat essen."

Geht es nach dem Landesumweltministerium, soll auf den Freiflächen wieder richtiger Wald entstehen. Das Ministerium prüfe derzeit, wie sich die Gesetzeslücke schließen lasse, sagt Sprecher Wilhelm Deitermann. Eine Änderung des Landesforstgesetzes soll in dieser Legislaturperiode erfolgen.

Mehr als 400 Betriebe im Hochsauerlandkreis verdienen Geld mit dem Verkauf von Weihnachtsbäumen, rund 40 Familien leben vorrangig davon. Stoppt die Initiative die Ausweitung der Flächen oder setzt sie strengere Anbauauflagen durch, ist davon auszugehen, dass Christbäume aus dem Sauerland teurer werden. Derzeit zahlen Kunden vor Ort zwischen zehn und 20 Euro, beim Kauf im Rheinland 30 bis 40 Euro, sagt Antonius Vollmer, Kreistagsmitglied der Grünen. "Aber wenn ich wüsste, dass mein Weihnachtsbaum ohne die Verwendung gefährlicher Mittel gewachsen ist, würde ich dafür gern drei oder vier Euro mehr bezahlen."

Wie entschlossen die Anwohner sind, zeigt Claudia Wegener. Als sie vor fünfeinhalb Jahren nach Velmede zog, war der Wald vor dem Haus ein klarer Standortvorteil. Perfekt für Spaziergänge, perfekt zum Aufwachsen für ihre Tochter. Der Kleinen wegen, sagt die 42-Jährige, "würden wir, wenn sich die Hinweise auf die Gefährlichkeit des Mittels verdichten, von hier wegziehen".

(RP)
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