Wenn die Erde zur Hölle wird

In seinem packenden Science-Fiction-Thriller "Hell" entwirft der junge Regisseur Tim Fehlbaum ein Szenario, in dem die Sonne die Menschen verbrennt, im Schatten aber auch nur noch Gefahren lauern. Der Film ist ohne Bombast produziert und fesselt doch in jeder Szene.

In der nahen Zukunft, aus der "Hell" uns Bilder liefert, wird es keinen Hautkrebs mehr geben. Allerdings ist die Klimaerwärmung weit fortgeschritten, und die Sonne brennt so erbarmungslos vom Himmel, dass sie ungeschützte Haut einfach wegsengt, bevor sich Krebs entwickeln kann. Wir haben es also nicht mit einer Zeit zu tun, in der die Apotheken gute Umsätze machen, vielmehr mit einer, in der es keine Apotheken mehr gibt.

Tim Fehlbaum zeigt uns einige Momente eines nicht explosionsartigen, aber doch zügigen Weltuntergangs. Das ist eigentlich das Privileg gigantischer Hollywoodproduktionen, die uns mit viel Kulissenwucht und digitalem Budenzauber Breitwandpanoramen der in Schutt und Asche sinkenden Zivilisation offerieren.

Interessierte sich ein Europäer für dieses Genre, wie der Deutsche Roland Emmerich, tat er bislang gut daran, seinen Regiestuhl in den USA aufzuklappen.

Der Schweizer Fehlbaum aber geht sein Projekt so selbst- wie kostenbewusst an. Er wählt einen kleinen Ausschnitt dieser Zukunft, er zeigt uns eine Beinahe-Familie (Hannah Herzsprung, Lisa Vicari, Lars Eidinger), die aus der Stadt geflohen ist und nun die Tage damit zubringt, immer rarer werdende Güter zu suchen: Benzin fürs Auto, Wasser und Essen für die Menschen, eine sichere Bleibe. Denn längst ist der Mensch wieder des Menschen Wolf geworden. Die Sonne bringt das Schlechteste an den Tag. Trotzdem muss das Trio dulden, dass sich ihm ein zwielichtiger Fremder (Stipe Erceg) anschließt. Die Bilder sind wirkungsvoll hitzefahl, die Kamera arbeitet mit einem kränklichen Gelbstich in einer Welt, in der das Schattendunkel kühle Geborgenheit und höchste Gefahr zugleich signalisiert. Da, wo man selbst unterschlüpfen könnte, lauern vielleicht schon andere.

Die suggestiven Qualitäten von "Hell" sind so groß, dass man die immanente Unlogik der Szenerie willig vergisst: Einerseits ist diese Welt schon viel zu menschenleer, andererseits ist noch viel zu viel intakt in ihr. Aber Fehlbaums Auge für Details schafft die falsche Glaubwürdigkeit: Wie da die Scheiben des Familienautos von innen mit Zeitungspapier verklebt sind, wie der Schmutz sich in der Karre angesammelt hat, wie verwahrlost die Protagonisten wirken, wie da ausgerechnet Nenas nun zynisch klingendes "99 Luftballons" als Bordmusik übrig geblieben ist und dem Fahrer gehörig auf den Senkel geht.

Dass bei diesem Pack's-oder-stirb-Trip zuvor verwöhnter Zivilisationsmenschen durch eine neue Wildnis ein großes Vorbild durchscheint, John Hillcoats Cormac-McCarthy-Verfilmung "The Road", schadet zunächst gar nicht. Fehlbaum nimmt seinen Film nämlich ernst, er verfällt nicht aus halber Verlegenheit in jene karikaturenhafte Genregrusler-Grobheit, die alle Patzer mit dem Hinweis abtut: "Ist doch nur ein Low-Budget-Fetzer". Oder die gar Ungereimtheiten als Guerillakunst und Bürgerschock reklamiert und sich dabei auf Christoph Schlingensiefs Frühwerk wie "Das deutsche Kettensägenmassaker" beruft.

Nein, Fehlbaum will Atmosphäre schaffen, will Figuren erkunden, will die Frage nach der Haltbarkeit von Werten stellen. Sein doppeldeutiger Filmtitel, der Helligkeit und Hölle meint, darf durchaus als sachter Anklang an Jean-Paul-Sartres Dramen verstanden sein. Aber eben als sachter. Fehlbaum überfrachtet seinen Film nicht, er will nicht zu tiefsinnig werden, er versteht sein Debüt als Unterhaltungskino. Roland Emmerich ist nach Durchsicht des Drehbuchs ja auch als Mitproduzent eingestiegen.

Probleme bekommt Fehlbaum, wenn seine Figuren in der zweiten Filmhälfte bei den zäh überlebenden Hinterwäldlern landen. Dann kommt "Hell" einerseits nicht weg von den Klischees all der US-Filme über bigotte Ungeheuer zwischen Bibelstudium und Kannibalismus, andererseits setzt er zu sehr auf ein nicht eintretendes Erschrecken. Wir begrüßen all diese Figuren, die von Angela Winkler gespielte Mutter beispielsweise, ja als alte Bekannte dieser Kinogattung. Trotzdem, Fehlbaums überlegter, nicht kraftmeierischer, nicht schockwitzelnder Umgang mit Genrekino imponiert. Man hat das deutschen Produktionen schon fast nicht mehr zugetraut. llll

(RP)
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