Wagners Helden sind keine Machos

Interview Er begann als Hornist im Orchestergraben, dann drängte es ihn selbst auf die Bühne: Klaus Florian Vogt ist seit seinem Bayreuther Debüt als Stolzing in Richard Wagners "Meistersingern" einer der aussichtsreichen Tenöre der Gegenwart. Jetzt gastierte er in Düsseldorf.

Düseldorf Hektik? Keine Spur. Als sich Klaus Florian Vogt in der Rheinoper zum Gespräch einfindet, wirkt er, als kenne er bereits jedes Detail über die Inszenierung des Abends. Doch Vogt, gefeierter Tenor im sogenannten "Heldenfach", ist kurzfristig für einen erkrankten Kollegen eingesprungen: als Siegmund in Richard Wagners "Walküre". Eine für ihn noch frische Partie. Erst vor drei Wochen hat er damit in München debütiert.

Düsseldorf freut sich über Ihre rasche Zusage, wann aber haben Sie zum letzten Mal "Nein" gesagt?

Vogt Vor ungefähr drei Tagen.

Fällt absagen schwer?

Vogt Sehr sogar.

Wonach wählen Sie aus?

Vogt Zunächst nach Partien. Manchmal werde ich nach Rollen wie Tristan oder Siegfried gefragt, mit denen ich noch warten möchte. Entscheidend sind auch der Ort und die Rahmenbedingungen einer Produktion.

Was ist bei einer solchen Einspringer-Vorstellung anders?

Vogt An erster Stelle versuche ich zu erfüllen, was die Inszenierung verlangt: die richtigen Positionen finden, die vorgesehenen Handlungen mitvollziehen, auf die Kollegen achten. Gleichzeitig möchte ich der eigenen Partie ihren spezifischen Ausdruck verleihen. Es klingt banal, aber wichtig ist, dass man in einer solchen Aufführung nicht stört.

Lenkt das womöglich vom Singen ab?

Vogt Wenn die Sicherheit im Szenischen fehlt, läuft der Gesang auf einer anderen Ebene ab. Man lebt stärker vom Vertrauen in die eigene Kenntnis der Musik.

Ist die Anspannung an solchen Abenden größer?

Vogt Mehr Adrenalin ist sicher im Spiel, weil die Anforderungen komprimierter sind. Radsportler gehen wichtige Etappen vor einem Rennen oft im Kopf durch.

Machen Sie das auch bei musikalischen Langstrecken à la Wagner?

Vogt Vor Beginn der Aufführung versuche mir den kompletten Abend sowohl szenisch als auch musikalisch genau vorzustellen. Außerdem setze ich mir, manchmal mit den Noten in der Hand, konkrete Ziele: Hier möchte ich diesen Ausdruck einbringen, dort jene Phrase so gestalten, hier mehr Crescendo, dort weniger. Ich fände es schade, wenn einem diese Dinge erst hinterher einfallen und der Abend einfach an mir so vorbeirauscht. Antizipieren ist für mich ganz wichtig.

Und nach der Vorstellung?

Vogt Folgt die Nachbereitung. Lange nachdem der Vorhang gefallen ist, schwirrt die Aufführung noch in meinem Kopf herum. Das kann bis zum Einschlafen dauern oder auch erst am nächsten Morgen beginnen. Noch ein Vergleich zum Radsport. Dort ist der sogenannte "Hungerast" gefürchtet – ein Verpflegungsmangel zum ungünstigsten Zeitpunkt. Gerade bei Wagner-Partien ist das durchaus ähnlich. Man muss die Länge einer Aufführung genau einplanen. Ich esse rechtzeitig vor der Vorstellung – und so viel, dass es möglichst bis zum Ende reicht. Während des Abends oder in den Pausen zu essen bekommt mir gar nicht.

Im Wagner-Fach bekommen Tenöre schnell das Etikett vom "Helden" verpasst. Ausgerechnet mit diesem Begriff haben Sie ihre erste Solo-CD betitelt.

Vogt Um darauf aufmerksam zu machen, dass ein Held nicht einseitig martialisch ist. Held gleich Macho – dieser Gedanke ist völlig überge-wichtet. Ein Held ist vielschichtiger, er kann auch sehr verletzlich sein. Auch der "Zauberflöten"-Tamino ist ein Held, wird aber oft mit leich-ten Stimmen besetzt. Über diese Art von Besetzung sollte man einmal genauer nachdenken, denn der Tamino ist auf seine Art auch ein Held – wie Siegfried. Doch wer als Tenor einmal den Sprung ins Wagner-Fach geschafft hat, wird nie mehr als Tamino angefragt. Leider. Da fehlt es vielleicht an Fantasie oder an Mut.

Warum?

Vogt Die empfindsame Seite dieser 'Helden'-Figuren wird oft übergangen. Nehmen Sie die Dynamik. Bei Wagner wird ihre Bedeutung gern übersehen. Viele der weicheren, leiseren Farben gehen verloren, wenn man zu sehr auf Lautstärke setzt.

Was von Dirigenten oder Orchestern zusätzlich unterstützt wird?

Vogt Die Gefahr besteht, obwohl ich beobachte, dass diese Tendenz nachlässt und eine Rückbesinnung einsetzt. Wenn man als Sänger diese zarteren Momente anbietet, ziehen die Dirigenten häufig mit und die Orchester hören genauer zu. Wagners Musik lebt nicht vom Forte, sondern von der Spannweite der Dynamik. Man sollte Richard Wagner mehr vertrauen, denn in den Noten wird alles gesagt. Für die Stimme hat er genial gut und genau geschrieben.

Auch deutlich genug?

Vogt Wagner-Sänger, die das spezifische Wort-Ton-Verhältnis beherrschen, sind selten. Der Zuschauer versteht oft kein Wort. Das ist nicht Wagners Schuld. Wenn diese Musik zu pauschal, zu laut gesungen wird, fördert das beim Publikum Hemmschwellen. Deswegen ist es wichtig, sie abzubauen. Wagners Welt ist viel subtiler. Nur wenn das hörbar wird, erschließt sie sich.

Sie stammen aus dem hohen Norden. Inwieweit hat diese Heimat Ihre Sicht auf Wagner geprägt?

Vogt Wenn man am Meer ist, die Gezeiten verfolgt und Naturgewalten wie starkem Wind ausgesetzt ist, hat das etwas Ursprüngliches und zugleich Natürliches. Das entdecke ich auch in Wagners Musik.

(RP)
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