Eine Frage Des Stils Vom Wesen einer Bitte

Im Supermarkt warte ich schon eine Weile in einer Schlange, während die Startzeit meines Sportkurses naht. Da eilt eine Frau vorbei, hält das einzelne Teil hoch, das sie bezahlen will und wiederholt nach jeder eroberten Position ein atemloses: "Darfschmalvor, danke." So selbstverständlich, dass ich nicken will, ehe ich merke: Ich habe nur noch drei Minuten. Also sage ich, durchaus nicht unfreundlich, aber sehr klar (weil die Frau schon halb vorbei gestürmt ist): Nein, tut mir leid, ehrlich gesagt habe ich es selbst eilig. Dabei muss ich schlucken, weil die Frau so selbstsicher ihr Anrecht demonstriert - erst recht, als sie mich fassungslos anschaut und mir dann ihre ironische Antwort hinwirft: "Na, das ist ja super-nett. Vielen Dank auch!" Hätte ich Stil bewiesen, wenn ich ja gesagt hätte? Auch wenn ich mich hinterher geärgert hätte (und zu spät zum Training gekommen wäre)? Ich denke, nein. Denn es ist nun einmal das Wesen einer Bitte, dass man sie ablehnen darf. Erst recht, wenn sie nicht begründet wird. So sollte man es immer halten: Fragen und Bitten muss erlaubt sein; nach dem besseren Platz in der Schlange, dem besseren Sitz im Kino, und ob es den Nebenmann auf der Parkbank stört, wenn man sich eine Zigarette anzündet. Man muss nur auch mit der Antwort offen umgehen können. Kürzlich habe ich in einer Bäckerei das letzte Schoko-Brötchen geordert, wurde dann von der hinter mir anstehenden Kundin bekniet: Sie habe dem zuhause wartenden Söhnchen eins versprochen und fürchte nun die Tränenflut. Vielleicht ist es pädagogisch nicht wertvoll, dem Kind alles zu servieren, was es will. Ich fand die Bitte trotzdem legitim und habe das Brötchen abgetreten. Weil ich die Wahl hatte. Vermutlich werde ich auch morgen wieder jemanden im Supermarkt vorlassen - und mich freuen, wenn das das nächste Mal jemand für mich macht.

Haben Sie eine Stilfrage? Schreiben Sie an: stilfrage@rheinische-post.de

(RP)
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