Düsseldorf "Sommerfest" im Ruhrgebiet

Düsseldorf · Sönke Wortmann verfilmt den Heimatroman von Frank Goosen.

Das könnte so ein guter Film sein, wenn Sönke Wortmann ihn einfach als Manege für seine Schauspieler freigegeben hätte. Lucas Gregorowicz schlafwandelt ja oft sehr bemutterungswürdig über die Leinwand, und da trifft es sich gut, dass er hier der ganz und gar umwerfenden Anna Bederke begegnet. Er ist der Träumer, der aus einer zum Scheitern verurteilten Schauspielerexistenz von München heimkehrt nach Bochum, um seinen Vater zu begraben. Sie ist seine Jugendliebe, und sie steht ziemlich patent mit Bier und Schnaps in der Kneipe und sagt, dass sie sich überlegt habe, er solle gar nicht wieder wegfahren, sondern hierblieben, bei ihr - "wir sind ja nicht mehr die Jüngsten". Er schluckt dann erstmal, weil er halt ein Schluffi ist und sie die Generalin der Zuneigung. Aber man ahnt natürlich, dass er das Angebot nicht ablehnen wird, und man würde nun gerne sehen, wie sie einander umtanzen und dann gemeinsam fallen: to fall in love. Ärgerlicherweise ist der Film an dieser Stelle fast schon zu Ende.

"Sommerfest" heißt die neue Produktion von Sönke Wortmann, die zwar "allen Jugendlieben" gewidmet ist, über weite Strecken jedoch wie ein Ausmalbuch für Ruhrgebiet-Klischees aussieht. Zöllner, so heißt der Mittvierziger, den Gregorowicz spielt, treibt durch ein Strukturwandel-Legoland, in dem sich Förderturm an Theaterhaus und Trinkhalle reiht. Die Leute tragen Goldketten und Trainingsanzug, und wegen des Authentizitätsfaktors strotzen ihre Sätze vor "dat" und "wat" und "weisse Bescheid". Die Patina ist allzu pedantisch aufgemalt, alles bleibt Kulisse. Die Hymne an die Herkunft klingt wie eine Coverversion.

Die Menschen in der alten Heimat, in der Zöllner seit fast 15 Jahren nicht gewesen ist, sagen Sätze auf, denen man anmerkt, dass sie ausgedacht und aufgeschrieben und dann erst gesprochen wurden. Ein Beispiel: Als Zöllners bester Kumpel ihn fragt, ob er schon Charlie, seine Jugendliebe, wiedergesehen habe und dass er ihm gleich mal deren Nummer rüberschicke, entgegnet Zöllner dieses: "Tu, was Du nicht lassen kannst." Würde kein Mensch in dieser Situation sagen, kein Mann zumindest.

Dabei blitzen in der Adaption des gleichnamigen Romans von Frank Goosen, der als Stadionsprecher einen kleinen Gastauftritt hat, immer wieder großartige Ideen auf. Dass Zöllner die Kleidung seines verstorbenen Vaters tragen muss, weil er keine Zeit mehr hatte zu packen und direkt von der Probe-Bühne aus und noch in der Maske eines Räubers aus Schillers Drama in den ICE nach Bochum gestiegen ist. Dass Wortmann liebevoll historische Fotografien aus der Koks-und-Cola-Zeit des Reviers zum Leben erweckt. Und vor allem, dass er seine Hauptfigur an entscheidender Stelle buchstäblich in seine Kindheit zurückrennen lässt: Da läuft der erwachsene Zöllner durch Bochum und wird allmählich zu jenem Jungen, dessen Herz er immer noch in sich trägt. Das ist toll und hat Potenzial, das ist die reine Utopie, aber all das bleibt bloß Andeutung. Wie im Übrigen auch die Magie der Anziehung zwischen dem sanften Zöllner und der spöttischen Charlie.

Jugendlieben sind ein Beleg für die Macht von Geschichten. Wortmann indes zieht das Behaupten dem Erzählen vor.

(hols)
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