Berlin Neue Schau im Berliner Kunstbunker

Berlin · Der Wuppertaler Unternehmer Christian Boros hat die Ausstellung in seinem Hochbunker in Berlin neu arrangiert. In dem Gebäude von 1942 sind nun Arbeiten von Ai Weiwei, Cosima von Bonin und Wolfgang Tillmans zu sehen. Ein Rundgang ist aufregend – und ein wenig unheimlich.

Während die Gäste unten nach dem Eingang suchen und zögerlich den Bunker betreten, steht Christian Boros im sechsten Stock des Betonklotzes auf seiner Terrasse und schaut in Richtung Reichstag. Der 47-Jährige wirkt so glücklich verkatert, wie man es nachmittags nach einer gelungenen Eröffnungsparty nur sein kann: Am Vorabend tanzten sie alle bei ihm, Fotokünstler Andreas Gursky und die Mäzenin Julia Stoschek – der Wahnsinn. In den feinen, vertikal gehängten Ketten, mit denen der kleine Swimmingpool eingefasst ist, spielt der Wind. Es macht ping, es macht kling, Boros schwenkt den Weißwein in seinem Glas, setzt sich an den Holztisch. Er nickt, es läuft gut.

Nach zwei Monaten Umbau wurde soeben die neue Ausstellung im berühmten Bunker an der Reinhardtstraße in Berlin eröffnet, alle vier Jahre soll die Schau künftig anders arrangiert werden. Der Wuppertaler Werbekaufmann und Sammler Boros kaufte das Ungetüm vor zehn Jahren, er ließ die drei Meter dicken Wände im Innern mit schweren Diamantenkettensägen so bearbeiten, dass man Kunst hineinstellen kann. Obendrauf baute er sich und seiner aparten Ehefrau Karen eine Wohnung im Stil Mies van der Rohes – die Einrichtungsmagazine stehen Schlange, um das Objekt fotografieren zu dürfen.

Wer aus dem Sonnenschein der ersten Herbsttage durch die massiven Stahltüren in den fensterlosen Bau tritt, wird von Baumstämmen in die Schatzkammer geführt: Sie gehören zur Installation "Driftwood" des isländischen Künstlers Olafur Eliasson. Man stolpert, die Stücke liegen im Weg, und man ist dankbar, dass sich einer der Kunststudenten, die hier Führungen organisieren, sofort kümmert. Es ist laut, riecht eigenartig, die Pfade und die Treppenhäuser wirken trotz neongreller Ausleuchtung wie ein Labyrinth.

Christian Boros hat einen Sinn dafür, wie man Menschen und Dinge inszeniert. Er wurde in Polen geboren und wuchs in Köln auf. Er bekam zum Abitur Geld für ein Auto und kaufte sich statt dessen ein Kunstwerk von Beuys. Er studierte bei Bazon Brock Ästhetik und gründete eine Werbeagentur. 1994 gelang ihm der Durchbruch: Der Slogan "Viva liebt dich" für den Musiksender Viva passte wunderbar zum Leben in den 90ern. Inzwischen arbeitet er für Coca Cola und die Art Cologne, entwirft das Kommunikationsdesign unter anderem für das Folkwang-Museum und das Düsseldorfer Schauspielhaus. Genau genommen ist Boros längst selbst zum Künstler geworden: Ihm gelang es, den 1942 von den Nazis gebauten Hochbunker, der zwischendurch als Gefängnis der Roten Armee diente, als Bananenlager der DDR und als Sadomaso-Techno-Club, zum Museum der Gegenwart zu machen. "Ich kaufe gerne Kunst, die gerade passiert", sagt Boros. Alle Welt nennt sein Hauptquartier, das zugleich sein Hauptwerk ist, nur mehr den "Kunstbunker".

Jede Arbeit hat im Bunker ihr eigenes Separée. Die mannshohen Stoffpilze von Cosima von Bonin ebenso wie die Installationen vonThea Djordjadze. Frühe Werke von Wolfgang Tillmans hängen in mehreren Räumen über vier Stockwerke verteilt, Tomas Saraceno knüpfte Sterne aus Gummischnüren, Thomas Ruffs Sternenbilder beeindrucken im Erdgeschoss. Jedes Werk passt auf eine eigene Art hierhin, es tritt in Dialog mit dem wüsten Raum. Ein Höhepunkt ist der sieben Meter hohe Baum von Ai Weiwei. Der Künstler schraubte ihn aus unterschiedlichen Hölzern zusammen, die er im Wasser fand. Nun ergeben sie ein Ganzes, aber man glaubt nicht an die widernatürliche Einheit; allzu offensichtlich ist der Zwang des rostigen Metalls, dem sich das Holz zu fügen hat.

Für die Atmosphäre in dem Bunker sorgen indes andere, noch stärker irritierende Stücke. Michael Sailstorfer hängt einen Baum kopfüber an einen rotierenden Stahlträger. Die Krone wird über den Boden geschleift, die Zweige ächzen laut, die gebrochenen Äste sondern Duft ab. Er vermischt sich mit dem Geruch frischen Popcorns, das aus einer anderen Installation von Sailstorfer springt: Mais wird erhitzt, platzt auf und soll allmählich den ganzen Raum füllen. Wie Blitze durchzucken dieses Soundgemisch aus Reiben und Knallen die Schläge der Bahnhofsuhr von Alicja Kwade. Wer vor sie tritt, sieht sich selbst: Die Künstlerin hat das Zifferblatt mit einem kuppelförmigen Spiegel abgedeckt und das Ticken elektronisch verstärkt. Es ist unheimlich.

Die meisten Stücke wurden von den Künstlern vor Ort angebracht. Die Wände tragen noch Spuren der schwarzen Lackierung aus wilden Techno-Zeiten, da und dort sieht man Reste fluoreszierender Farbe, die im Zweiten Weltkrieg zur Orientierung diente. Die Belüftungsschächte sind sichtbar: schwere Klappen, mächtige Rohre als Kriegszeugen, davor die Daseinsentwürfe der Gegenwartskunst. Die 3900 Quadratmeter große Ausstellungsfläche mutet an wie eine Zeitmaschine; zwei Stunden verstreichen rasch, man schaut nicht, sondern erlebt Kunst, und man vermag nicht zu unterscheiden: Ist das die Wirkung der Kunst oder doch die ihres Ortes? Oder wird die Kunst erst durch den Ort zu Kunst? Und wie bedeutsam ist die Tatsache, dass man stets mitdenkt, wie irrwitzig es ist, das alles hier auszustellen?

Christian Boros genießt es, wenn man solche Reflexionen vor ihm ausbreitet. In sein Penthouse fällt das Licht, es erfrischt den Gast geradezu, und die elegischen Porträts der Malerin Elizabeth Peyton, die gereiht an einer der wenigen Wände hängen, die nicht von Regalen mit Kunstbänden verstellt sind, geben Gelegenheit zum Durchatmen. 700 Arbeiten haben Karen und Christian Boros gesammelt. Ein Teil davon sorgt unten dafür, dass es brodelt, dass man über das Paar spricht. Oben indes herrscht Ruhe.

Im Fahrstuhl stellt man sich schließlich vor, wie es wohl ist, in einem Safe zu leben, in einer Hochsicherheits-Galerie. Es wäre abends ein Nachhausekommen in die Kunst. Unten versucht eine japanische Besucherin, die schwere Zugangstür zum Bunker zu öffnen. Als sie drin ist, sagt sie: "Endlich!"

Dann fällt die Tür ins Schloss.

(RP)
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