Warum Volksmusik schön ist

Köln Eigentlich könne sie ja nicht singen, sagt Margot Schiesberg. Dabei hat sie gerade in ihrer Kneipe op Kölsch ein Lied angestimmt, und die Leute haben gleich mitgesungen und geklatscht und rote Wangen bekommen. Und einen seligen Blick. Glücklich hatten die Leute ausgesehen, selbstvergessen. Dabei war das Lied ganz einfach gewesen, sogar ein bisschen kindisch.

Auch die Menschen, die mit Loni Kuisles zum Jodeln ins Allgäu wandern, hatten diese Verklärung im Blick, als sie auf der Bergkuppe angelangt waren und ihre Stimmen zum ersten Mal in die Weite der Berge davonschwebten. Und als Rudi Vodel im Erzgebirge das Bandoneon zur Brust nimmt und mit seinen Freunden eines jener Lieder anstimmt, die sie während der DDR-Zeit nicht singen durften, weil darin der liebe Gott vorkommt oder irgendein König, da sieht man sie auch, diese Ergriffenheit – ausgelöst durch ein deutsches Volkslied.

Ein Neuseeländer macht sich in der Dokumentation "Sound of Heimat", die am Donnerstag ins Kino kommt, auf den Weg, die deutsche Volksmusik zu erkunden. Hayden Chisholm ist selbst Musiker und als Wahldeutscher unbefangen genug, die Schönheit des deutschen Liedguts zu erkennen. Chisholm hat sein Saxophon dabei, setzt sich zu den Heimatmusikanten an die geschrubbten Holztische und musiziert einfach mit. Das trifft den Kern jener unverbrauchten Volksmusik, die in diesem Film gefeiert wird: Es ist Musik, die allen gehört, die keine elitären Anforderungen stellt, sondern Gemeinschaft stiften will.

Natürlich bewegt sich Chisholm auf Pfaden jenseits des konfektionierten Musikantenstadl-Schlagerbetriebs. Er begleitet den Leipziger Gewandhauschor zum Scheunensingen ins Vogtland, trifft Hip-Hopper unter einer Rheinbrücke, die sich für Lieder der Widerstandsgruppe "Edelweißpiraten" begeistern, und stellt sich in Bamberg mit wilden Folk-Spielern zum "Antistadl" auf die Bühne. Da hopsen im Publikum Studenten herum, manche sehen aus wie Punker, manche tragen Tracht.

Erfrischend unbefangen geht Hayden Chisholm sein Thema an, aber nicht naiv. Er spricht auch mit Wladyslaw Kozdon, der das Konzentrationslager Buchenwald überlebt hat. Der erzählt, wie die Lageraufseher ihn und die anderen Häftlinge nach 16 Stunden Schwerstarbeit noch mit Singstunden drangsalierten. Und wenn einer einen Fluchtversuch gewagt hatte und aufgegriffen worden war, mussten sie stets dasselbe Lied anstimmen: "Alle Vöglein sind schon da". Da wird klar, dass man Volkslieder in Deutschland nicht mehr naiv singen kann, ihre Unschuld haben sie verloren. Ihre Schönheit nicht. Darum kann sich Chisholm am Ende seines Films ein wenig Pathos nicht verkneifen. Steht zu Eurer Heimatmusik, rät er seinen Zuschauern, erfreut Euch an den schönen Melodien, der zarten Melancholie vieler Weisen!

"Sound of Heimat" ist eine Doku, die ihren Reiz daraus bezieht, dass ein Ausländer sich unbekümmert, in der Pose des Dilettanten, einem deutschen Tabu nähert. Anders als etwa in der Doku "Full Metal Village", in der eine Koreanerin ein Heavy-Metal-Festival in der schleswig-holsteinischen Provinz beobachtet, lernt der Zuschauer keine ihm fremde Subkultur kennen. Doch Chisholm hat unangepasste Verteidiger deutscher Liedtradition aufgespürt. Es sind sympathische Menschen. Mit ihnen würde man sogar schunkeln.

(RP)
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