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Salzburger Festspiele Die Rocky Mozart Picture Show

Salzburg · Die Salzburger Festspiele präsentieren Mozarts „Zauberflöte“ als Wimmelbild und Richard Strauss’ „Salome“ als rätselhaften Thriller.

 Mauro Peter (Tamino, l.), drei Wiener Sängerknaben (Drei Knaben) und Klaus Maria Brandauer (Großvater) in der Oper "Die Zauberflöte" bei den Salzburger Festspielen.

Mauro Peter (Tamino, l.), drei Wiener Sängerknaben (Drei Knaben) und Klaus Maria Brandauer (Großvater) in der Oper "Die Zauberflöte" bei den Salzburger Festspielen.

Foto: dpa/Barbara Gindl

Innerhalb von 24 Stunden rücken die Salzburger Festspiele zwei Prinzessinnen in den Mittelpunkt, die unterschiedlicher kaum sein können. Die eine ist etwas verträumt, hat – als Tochter der Königin der Nacht und nach einer Entführung – eine schwere Kindheit hinter sich, ist in Liebesdingen schnell enttäuscht, doch zum Glück treu bis in Todesgefahren hinein. Zur Belohnung bekommt Pamina ihren Tamino.

Die andere ist ein verwöhntes, exaltiertes, innerlich leeres Blag, das ebenfalls eine schlimme Kindheit erlebt hat (ihr notgeiler Stiefvater ist Herodes) und psychiatrisch behandelt werden müsste. Die junge Dame wird sich nämlich, weil der Mann ihre Lockungen nicht erwidert, den abgehackten Kopf des Propheten Jochanaan auf einem Tablett servieren lassen. Solche Perversion kann selbst der Stiefvater nicht dulden: Er lässt Salome umbringen.

Also „Zauberflöte“ und „Salome“. Herber können Kontraste nicht sein. Hier das tönende Volkstheater mit angewandter Sittenlehre, dort der wüste Thriller mit amoralischer Dimension. Das eine Stück wird uns lehrhaft vermittelt, das andere bricht elementar über uns herein. Während aber „Salome“ als geschlossenes Geniewerk gilt, besitzt die „Zauberflöte“ zwar die allerschönste Musik, aber einen (gesprochenen) Text, mit dem fast jede Aufführung hadert.

Dieser Text fliegt jetzt über Bord, ein neuer zieht als Geschichte in einem Märchenbuch ein, aus welchem ein Großvater seinen drei aufgeweckten Enkeln (es sind später die drei Knaben der Oper) vor dem Schlafengehen vorliest. Wir befinden uns in einem architektonisch verwinkelten Mehr-Generationen-Haus am Vorabend des Ersten Weltkriegs, in dem sich Familienmitglieder, Personal und Gäste alsbald in die Figuren der Oper verwandeln. Die Bühne wird bunt und bunter, denn Sarastro ist Zirkusdirektor und karrt massenhaft Artisten auf die Bühne: Messerwerfer, Clowns, Zwergwüchsige, Schlangenfrauen, Riesen, Jongleure, Harlekine. Weil so ein Zirkus eine gewaltige Maschine ist, rollen Zahnräder auf Podesten heran.

Die Regisseurin Lydia Steier hat das Phänomen der Angst als wesentliche Emotion der Oper identifiziert, und so bevölkern die Bühne nicht einfach nur Zirkusleute, sondern labile Doubles aus berühmten Büchern und Filmen: Struwwelpeter, Little Nemo, Alice im Wunderland. Das ergibt hübsche Details, doch auf Dauer blicken wir im Großen Festspielhaus auf ein Wimmelbild, in dem die Sänger nur mit dem Feldstecher zu orten sind. Der Blick verliert sich im Zubehör. Selbstverständlich wird dieses Panoptikum bei der Feuer- und Wasserprobe zur Kriegsahnung geweitet. Und immer wird zum Märchenopa zurückgeblendet – dies die Krux der Rahmenhandlung –, auch wenn diesen Altvorderen kein Geringerer als Klaus Maria Brandauer gibt. Die drei Knaben erleben jedenfalls eine Rocky Mozart Picture Show.

Das Gefühl der Übersättigung wird gesteigert durch den Dirigenten Constantinos Carydis, der den Sängern und den Wiener Philharmonikern überreizte Tempi abverlangt. Entweder ist alles zu schnell, fast atemlos, oder die Sänger verhungern, weil die Musik so langsam ist. Keine Probleme damit hat die kalt und professionell singende Albina Shagimuratova als Königin der Nacht, deren Koloraturen wie mit der Tätowiernadel gestochen scheinen. Der Atem der wunderbaren Christiane Karg als Pamina scheint dagegen nicht immer unendlich. Mauro Peter als Tamino muss in der „Bildnis“-Arie ebenfalls kämpfen, und ganz arg er­wischt es den Bariton Matthias Goerne, der als Sarastro ungeeignet ist: Seine Tiefe bricht weg, die gesangliche Linie wirkt perforiert, und weil in Goernes Hals nicht nur Töne, sondern auch Knödel produziert werden, leidet man sehr mit dem Künstler. Der Papageno von Adam Plachetka verarbeitet Krisen mannhaft, solange er nur Aussicht auf Wein, Weib und Wurst hat.

In der „Zauberflöte“ verliebt sich Tamino erst in ein Bildnis und später in die reale Pamina. Salome dagegen ist für alle vom ersten Takt an zum Greifen nah, alle weiden sich an ihrer Schönheit, sie dagegen verliebt sich in einen, den sie nicht bekommen kann. Das wird blutig.

In der Salzburger Inszenierung von Romeo Castellucci dagegen werden schon zu Beginn alle möglichen Körpersäfte weggeschrubbt, die im Palast des Herodes aus Leichen geflossen sind. Es wird überhaupt vieles sehr anders werden, als wir es von „Salome“-Aufführungen kennen. Castellucci liebt es, in Rätseln und Symbolen zu sprechen und das Publikum mit deren Entschlüsselung zu beauftragen.

Weil Castellucci ein sehr ernsthafter Künstler ist, wir Journalisten aber bei Hitze unter Begriffsstutzigkeit leiden, wäre eine musikkritische Arbeitsgemeinschaft sinnvoll, die die wichtigsten Fragen klärt. Warum sind die Wände der Felsenreitschule zugemauert? Warum verwandelt sich der Prophet Jochanaan in einen lebenden Rappen? Warum wird Salome ein Pferdekopf serviert? Welchen Sinn erfüllen die beiden Boxer auf der Bühne? Warum erwachen Leichen in Leichensäcken zum Leben? Warum fällt der Schleiertanz aus und hockt Salome stattdessen wie eine Muschel auf einem Felsquader? Warum hat sie einen blutroten Fleck in Steißbeinhöhe? Wird Milch oder Flüssigseife in Jochanaans Brunnen gekippt? Und warum steigt Salome gegen Ende in einen Whirlpool?

Wir haben so unsere Ahnungen, doch wäre es sinnvoll, wenn jene AG bereits im kühleren September zusammenkommt, um erste Ergebnisse zu präsentieren. Vermutlich ist mit der Lösung aller Denksportaufgaben nicht vor Februar 2019 zu rechnen. Dass wir garantiert so lange am Ball bleiben, hängt mit dem musikalischen Schwung zusammen, mit dem uns diese Produktion auf ihren Rang verpflichtet. Franz Welser-Möst am Pult der Wiener Philharmoniker ist nach dem Mätzchenmacher Carydis eine andere Hausnummer. Diese „Salome“ ist musikalisches Villenviertel. Das Orchester liebt straffe Führung durch einen Wissenden, und diesmal bietet es puren Luxus. Schäumend die Streicher, giftig die Holzbläser, palasthaft das Blech. Die Musik betritt tatsächlich die Sphäre des gefährlich Glitzernden, an der Strauss so gelegen war.

Von diesem Rausch aus der Tiefe des Orchestergrabens werden alle getragen, vor allem die Salome von Asmik Grigorian aus Litauen. Ihr Rollendebüt ist eine Sensation und erinnert an den ersten Auftritt der jungen Anna Netrebko hier in Salzburg als Donna Anna. Grigorians Timbre ist fast schon fluoreszierend. Es bahnt sich ohne Mühe einen Weg selbst durch schier undurchdringliche Orchesterwände, besitzt Attacke und Schärfe, ohne jemals auf der Klinge zu reiten. Es strahlt in der Höhe und muss in der Tiefe nicht forcieren. Die größten Momente des Abends sind ihre Dialoge mit dem wirklich prophetischen Jochanaan von Gábor Bretz.

Wer in diesen Momenten die Augen schließt, sieht eine Idealaufführung vor sich.

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