Musiker-Porträt Auf Reisen mit einem großen Jazzer

Düsseldorf · Vor knapp einem Jahr starb der Musiker John Abercrombie. Jetzt ehrt ihn eine herzerwärmende DVD.

 Gitarrist John Abercrombie beim Jazzfestival Viersen.

Gitarrist John Abercrombie beim Jazzfestival Viersen.

Foto: Busch, Franz-Heinrich (bsen)/Busch, Franz Heinrich (bsen)

Als vor vielen Jahren seine erste CD „Timeless“ bei seinem neuen Label ECM erschien, da ging ein Raunen durch die Fachwelt. Sie begann nämlich mit der Tonart der Gitarristen schlechthin, mit E-Dur, dem Akkord mit dem höchsten Reinheitsgrad. Aber wie er ihn mit seinen Improvisationen verwandelte, atmen ließ, strukturierte und vertiefte, das hatte man so noch nicht gehört. War das Ambient Music, also Klangkunst mit räumlich-meditativer Komponente? Oder war es etwas anderes? In jedem Fall wurde die Zeit aufgehoben – und John Abercrombie war der Künstler, der an den Zeigern drehte und die Batterien aus der Uhr nahm.

Vor knapp einem Jahr starb Abercrombie, jetzt porträtiert ihn sein langjähriges Vorzugs-Label ECM mit einer herzerwärmenden DVD. Wir sehen ihn in seinem Auto, durch seine Heimat Connecticut (USA) kutschierend, wir hören ihn in Interviews, wir erfahren Persönliches aus dem Mund seiner Frau Lisa und musikalischer Gefährten. Wir lernen: Abercrombie wurde von allen geliebt und verehrt, vor allem beides zugleich. Er war ja einer der leisen Meister des modernen Jazz, einer, der sehr höflich und ehrerbietig über seine Vorbilder sprach, beispielsweise Chuck Berry und Barney Kessel.

Als er erstmals Miles Davis hörte, „da entzündete sich eine Lichterkette“, und bei seiner ersten Begegnung mit John Coltrane schien es ihm, dass „das Mutterschiff des Jazz aus dem Weltall gelandet“ sei. Unter dem Einfluss dieser Giganten gedieh Abercrombies Kunst stetig, und immer war er ein Teamplayer. Sehr mochte er den Sound der Hammond-Orgel an seiner Seite,

Besonders schön an dem Film von Arno Oehri und Oliver Primus sind neben den Interviews die Mitschnitte von Sessions, die Abercrombie als versunkenen, doch zugleich hellwachen Künstler zeigen. Musik war für ihn ein offenes Land, so ist die DVD auch betitelt: „Open Land“. Eher erforscht er Klänge, als dass er sie behauptet. Irgendwann begann er nicht mehr mit Plektrum, sondern mit dem Daumen zu zupfen; das hatte er sich bei Wes Montgomery abgeschaut. So hat sein Gitarrenspiel etwas zutiefst Menschliches, erzeugt von der Hände und Finger Arbeit.

Einmal muss man schlucken: wenn Abercrombie mit einer unbeschreiblichen Lakonie erzählt, wie sein Haus einmal, mit allem darin, vor seinen Augen abgebrannt sei; seine Frau habe er noch aus dem Badezimmer retten können. Danach stand er vor Schutt und Asche und musste noch einmal ganz von vorn anfangen. Das Erste, das seine Freunde ihm besorgten, war eine neue Gitarre. Und wie in einem kollektiven Akt sameriterhaften Denkens bekam er ein Engagement nach dem anderen.

Reisen und Lauschen mit John Abercrombie (1944 bis 2017): eine sehr schöne Erinnerung an einen der Großen des Jazz.

Info DVD „Open Land. Meeting John Abercrombie“ von Arno Oehri und Oliver Primus. 90 Minuten, ECM Records

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