Erstes Halbfinale mit finnischen Favoriten Song Contest feiert in Wien die Toleranz

Wien · Beim Eurovision Song Contest ringen 40 Nationen um Europas Pop-Krone. Die Gastgeber präsentieren sich weltoffen und versprechen die barriereärmste Show. Als Mit-Favorit gilt eine finnische Band mit behinderten Musikern.

ESC: PKN aus Finnland – Band mit Down-Syndrom
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PKN aus Finnland – Band mit Down-Syndrom

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Foto: afp, DN/agz

Alles ist möglich, lautet eine goldene Regel des Eurovision Song Contest (ESC), und selten leuchtete sie heller als in diesem Jahr. Beispiele gefällig? Von den Musikern der finnischen Band Pertti Kurikan Nimipäivät haben drei das Down-Syndrom, das vierte Mitglied ist Autist. Die polnische Sängerin Monika Kuszynska sitzt seit einem Autounfall im Rollstuhl. Ann Sophie darf nur für Deutschland singen, weil der Erstplatzierte im Vorentscheid, Andreas Kümmert, überraschend verzichtete. Und Conchita Wurst, bärtige Drag-Queen und Vorjahressiegerin, führt im Finale am 23. Mai in der Wiener Stadthalle Künstler-Gespräche hinter den Kulissen. "Building Bridges" lautet denn auch das Motto der Show, und diese Brücken, so der Anspruch, sollen die Menschen verbinden, ungeachtet von Alter, Geschlecht, Religion, sexueller Präferenz oder Handicap.

Selbst Wiens Ampeln sind auf Toleranz geschaltet. An fast 50 Kreuzungen leuchtet nicht mehr das altbekannte Ampelmännchen, sondern heterosexuelle und gleichgeschlechtliche Ampelpärchen zeigen an, ob man die Straße als Fußgänger überqueren darf oder nicht. Zudem soll es die barriereärmste Show werden, die der Wettbewerb, der in diesem Jahr 60-jähriges Bestehen feiert, bislang gesehen hat. So werden die beiden Halbfinale (heute und Donnerstag, ab 21 Uhr auf Phoenix) sowie das Finale für gehörlose und schwerhörige Zuschauer untertitelt. Für blinde und sehbehinderte Menschen werden alle drei Shows zudem live mit einer Bildbeschreibung versehen.

Zum ersten Mal gibt es das Angebot "Eurovision Sign": Für gehörlose Menschen wird die Sendung auch mit internationalen Gebärden angeboten. Die Lieder sowie die Live-Bühnenmoderationen und die jeweiligen Zuspielungen werden in "International Sign" übersetzt und von gehörlosen Darstellern präsentiert. Sie erzählen die Geschichte der Songs anhand der Klänge und der Texte. Zu sehen ist das allerdings nur online.

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Viele dieser Geschichten werden sich aber wohl frappierend ähneln. Gefühlt sind etwa 70 Prozent der Beiträge mehr oder weniger pathetisch-pompöse Balladen, gerne begleitet am Klavier. Das ist einerseits ESC-typisch, auf der anderen Seite dem letztjährigen Sieg von Conchita Wurst geschuldet. Vielversprechende Hymnen kommen in diesem Jahr unter anderem aus Polen, Italien und Australien. Überhaupt findet beim ESC das Erfolgskonzept des Vorjahrs in der nächsten Auflage gerne Nachahmer. Neben Wurst hat das niederländische Duo The Common Linnets offensichtlich großen Eindruck hinterlassen - Estland, Litauen und Norwegen setzen diesmal auf gefühlige Duette.

Auffällig: Etliche Künstler nutzen ihren Beitrag für politische Botschaften. So singt Boggie aus Ungarn mit "Wars For Nothing" für den Frieden, was ja schon Nicole den Sieg brachte. Die rumänische Band Voltaj beleuchtet die Situation der Kinder im Land, die armenische Truppe Genealogy singt über den Völkermord. Nicht unbedingt ein leicht verdauliches Thema. Davon hat der ESC allerdings genug zu bieten. Chancenreichen fluffigen Gute-Laune-Pop liefern etwa Anti Social Media aus Dänemark, The Makemakes aus Österreich und Mans Zelmerlöw aus Schweden, der mit "Heroes" sogar einen der aussichtsreichen Songs des Wettbewerbs im Gepäck hat.

Bei den Buchmachern vorne liegen auch die Finnen. "Aina mun pitää" (Ich muss immer) heißt der nur 1:40 Minuten lange Punk-Song, der vom Alltag mit Behinderung erzählt. So sind die Mitglieder, die seit 2009 zusammenspielen, es satt, ständig bevormundet zu werden. In Finnland waren die Menschen begeistert über dieses selbstbewusst auftrumpfende Quartett, und auch Europa wird es ins Herz schließen. Dass die Finnen mit harter Rockkost triumphieren können, haben ja schon Lordi 2006 bewiesen.

Für die deutsche Überraschungssiegerin Ann Sophie wird es da schwer. Ihr Song "Black Smoke" ist eher Mittelmaß. Mit einem guten Auftritt reicht es vielleicht für einen zehnten Platz. Wer die Nase vorn hat, darüber entscheiden Jurys und die Zuschauer. Was wiederum bedeutet: Alles ist möglich.

(RP)
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