Elbphilharmonie Die perfekte Welle

Hamburg · Es ist vollbracht: Am 11. Januar wird die Elbphilharmonie eröffnet - ein Überwältigungsbauwerk, so kostspielig wie gelungen.

Architektur berührt den Menschen ja immer dann, wenn sie Spannung erzeugt zwischen dem Gebäude und seiner Umgebung. Wenn ein Bau an seinen neuen Platz gehört, als habe er immer dort gestanden, und zugleich diesem Ort etwas Unerwartetes hinzufügt - durch seine Einzigartigkeit, seine Ästhetik. Etwas, das Staunen macht. So wie die Elbphilharmonie.

Vielleicht nähert man sich diesem wuchtigen, schillernden Überwältigungsbauwerk mit seinen 1096 einzelgefertigten Glaselementen, das da an der westlichen Spitze der Hamburger Hafencity 110 Meter in die Höhe ragt, am besten über das Wasser. Dann kann man sacht schaukelnd erleben, wie sich Wellen und Wolken, Wasser und Himmel, in der gewölbten Fassade spiegeln. Wie sich der organische Koloss in seine Umgebung einfügt, Teil der Natur wird, Teil des Wellenspiels, des Wolkenflugs und sich bei aller Wuchtigkeit fast unsichtbar macht. Ein Chamäleon aus Glas.

Aber da ist ja der feste Sockel im alten Speicher, auf dem das alles fußt. Davon ist zwar nur noch die Fassade übrig, aber der neue Bau hat seine Bodenhaftung nicht verloren. Er wölbt sich aus dem hervor, was Hamburg groß und reich gemacht hat, aus einem Lagerhaus für den Handel. Tee-, Tabak- und Kakao-Vorräte wurde dort einst gehortet, Genussmittel und exotisches Schwarzpulver für exquisite Speisen. Und nun müssen die Besucher der Elbphilharmonie erst durch dieses alte Fundament, um oben die neue Weite erleben zu können, den Blick auf den Hafen, die Alster, die Innenstadt.

So sieht die neue Elbphilharmonie aus
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So sieht die neue Elbphilharmonie aus

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Foto: dpa, chc lof fdt

Die erste nach außen gekrümmte Rolltreppe der Welt

Denn das fehlt Hamburgs neuem Konzertzentrum: Es gibt keinen repräsentativen Eingang am Boden, kein Foyer, das ebenerdig in die Nacht strahlt und die Menschen mit weiten Armen empfangen könnte. Stattdessen eine Rolltreppe - die erste nach außen gekrümmte Rolltreppe der Welt. Durch einen mit Pailletten besetzen Tunnel führt sie 82 Meter nach oben und weil sie diese Wölbung hat, die Besucher wie über eine Bergkuppe gleiten lässt, sehen die nicht, wo der Weg endet.

Doch dann stehen sie schon vor einer ersten Panoramascheibe, können auf den Hafen blicken und zum ersten Mal erleben, was dieses Gebäude mit seinen Besuchern macht: es erhebt. Es schenkt Aus- und Überblick; und dank seiner amorphen Form, seines labyrinthischen Inneren, hat das nichts Martialisches, nichts Auftrumpfendes, Pathetisches, sondern Leichtigkeit, Luftigkeit, Freiheit. Wie aus einem erhabenen Vogelnest schaut der Besucher von der Plaza, einer öffentlich zugänglichen Plattform in 37 Metern Höhe auf das Wasser und die Stadt, die so lange mit diesem sündhaft teuren Bau gerungen hat. 2007 wurde der Grundstein gelegt, 2010 sollte Eröffnung sein. Am Ende wurden es zehn Baujahre, die Kosten stiegen von geplanten 77 Millionen Euro auf 789 Millionen, und die Elbphilharmonie galt als Wahrzeichen für die kommunale Unfähigkeit zu bauen. Gegner von Großprojekten bemühten fortan den Dreiklang: Hamburg, Stuttgart 21, Flughafen Berlin, um vor der Unkalkulierbarkeit solcher Vorhaben zu warnen.

Elbphilharmonie Hamburg erstmals ohne Kran
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Elbphilharmonie erstmals ohne Kran

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Foto: dpa, dan cul

Doch bei aller Kritik darf die Elbphilharmonie nun auch wirken, darf als Bauwerk zur Geltung kommen, nicht nur als Millionengrab. Und diese Wirkung ist enorm, weil dieser Bau lauter Superlative bricht, weil er etwa mit der geschwungenen Dachkonstruktion, die auf den Rohbau herabgesenkt werden musste, die Ingenieurskunst an ihre Grenzen getrieben hat und zugleich so zart und durchsichtig wirkt, wie ein gläsernes Schloss, ein geschmolzener Zauberkubus, der Licht, Luft und Atmosphäre spiegelt. Ein gebauter Reflex auf die Welt.

Dafür ist all dieses Glas eingesetzt worden. Dafür wurde getüftelt, wie es gewölbt und beschichtet sein muss, um Innen und Außen nur wie durch eine Haut zu trennen und doch die Energie im Bau zu halten. Am Ende bringt es das Gebäude auf eine Glasfassade von 16.000 Quadratmetern, jedes einzelne Glaselement wiegt 1,8 Tonnen und die Elbphilharmonie insgesamt 200.000 Tonnen, das entspricht dem Gewicht von zwei Kreuzfahrtschiffen.

Einen anderen Vergleich darf man bei diesem Gebäude nicht wählen, denn auch im Innern ist alles auf Meer, Sand, Unterwasserlandschaft ausgerichtet. Etwa die Innenhaut des großen Konzertsaals, Herzstück des Gebäudes mit 2100 Plätzen. Terrassenförmig sind die Zuhörerreihen angeordnet, so sitzt niemand mehr als 30 Meter vom Dirigenten entfernt, wenn die oberen Ränge auch steil nach oben führen. Die durchlöcherte Oberfläche der "weißen Haut" im Saal, den der japanische Akustiker Yasuhisa Toyota aus 10.000 Gipsfaserplatten und einem Reflektor an der Decke gestaltet hat, ist an keiner Stelle gleich. Mal wirken die Wände wie von Wellen bewegter Sand, mal wie ein weißes Korallenriff. Die Nähe zum Meer spielt hinein in den Konzertsaal, ohne der Funktionalität zu schaden.

"Die Schweizer Architekten Herzog und de Meuron haben ein wirkliches Kunstwerk geschaffen", sagt der Hamburger Publizist Till Briegleb, der das Bauprojekt von der ersten Planung an begleitet und ein Buch über die Geschichte der Elbphilharmonie geschrieben hat. "Mit dem offenen Foyer, den raffinierten Treppenläufen und dem Konzertsaal in Weinberg-Form ist ihnen ein Bauwerk gelungen, das optisch Nahrung bietet und zugleich akustisch überzeugt." Dafür sei man Risiken eingegangen. "Das ist eben keine glatte, langweilige Kiste, wie sie überall herumsteht."

Ein identitätsstiftender Bau

Trotzdem gibt es nicht nur wegen der explodierten Kosten Kritiker, darunter namhafte Architekten wie Hans Kollhoff, der gerade bei Stararchitekten, die Prestigebauten für Metropolen entwickeln, Achtung vor der spezifischen Bautradition der jeweiligen Städte vermisst. Manchen Puristen ist die Elbphilharmonie zu plakativ geraten, zu sehr darauf bedacht, ein gutes Bild abzugeben, als Wahrzeichen zu imponieren, als das Luxusobjekt, in das so immens investiert wurde. Gerade in Kulturbauten spiegelt sich schließlich das Selbstbewusstsein einer Bürgerschaft. Und die kann auf die Fortschreibung dessen setzen, was ihre Vorfahren geschaffen haben. Oder sie kann neue Zeichen setzen, global mithalten wollen. Wie in Hamburg.

Die Elbphilharmonie ist ein Solitär an der Spitze eines dieser neu konstruierten Luxusquartiere, das dringend einen identitätsstiftenden Bau benötigte. Aber das ist die Hamburger Sicht. Die Stadt hat der Welt ein Baudenkmal geschenkt, das Menschen auch in Jahrzehnten noch begeistern kann. Weil es einer ästhetischen Idee folgt. Weil es an diesen Ort gehört und ihm zugleich etwas entgegensetzt. Weil es den Besuchern Momente schenkt, in denen sie aus ihrem Alltag hinaustreten, einen anderen Blick auf die Welt und sich selbst gewinnen können. Architektur, der das gelingt, ist Kunst, die bleibt.

(dok)
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