Coldplays neues Album "Mylo Xyloto" Der Sound der Gegenwart

Düsseldorf · Man fragt sich, wie die das machen, wie sie immer wieder Lieder komponieren können, die wie ein Kondensat freischwebender sozialer Impulse klingen, Lieder über unser Dasein, Lieder aus reiner Gegenwart. Die britische Band Coldplay veröffentlicht am Freitag ein neues Album, es heißt "Mylo Xyloto", es ist musikalisch nicht so gelungen wie sein Vorgänger, aber doch ganz gut, und neben 14 Liedern liefert die CD etwas ungleich Größeres: eine Haltung, mit der man der Welt begegnen kann.

Coldplays neues Album "Mylo Xyloto": Der Sound der Gegenwart
Foto: AP, dapd

Das ist Weltmusik im wörtlichen Sinn, Musik für die Massen, die Neu-Erfindung von Jugendlichkeit aus dem Geist von Krise, Digitalisierung und Beschleunigung. Coldplay ist die erfolgreichste Popgruppe der vergangenen Jahre, sie spielt in jener Liga, in der nur noch U2 als Konkurrenz gilt, und was sie den Iren voraushat, ist Nahbarkeit und Greifbarkeit. U2 mahnt, Coldplay umarmt.

Wer je ein Konzert der Band von Sänger Chris Martin (34) erlebte, wird wissen, wovon die Rede ist: Nicht die himmelstürmenden Melodien, die tränenschweren Balladen, die dicke Soundsoße und das "Oohoho" der Refrains machen das Phänomen Coldplay aus. Es ist vielmehr ihre Wirkung.

Coldplay-Hörer fühlen sich einer Gemeinschaft zugehörig, diese Band synchronisiert die Empfindungen der Menschen in der flüchtigen Moderne. Es ist nicht der Song, sondern die Sendung. Coldplay hat "Mylo Xyloto" als Konzeptalbum angelegt. Erzählt wird die Geschichte eines Liebespaares, das in einem schwierigen Umfeld für seine Überzeugungen einsteht. Am Ende fliegen die beiden mit den Vögeln davon.

Gebräu aus Paulo Coelho und Apple

Der Coldplay-Existenzialismus ist ein Gebräu aus Paulo Coelho, "Geh, wohin Dein Herz Dich trägt" und dem "Think Different" aus der Apple-Werbung, aus Spiritualität, Easy-Jet-Set und Trost. Musikalisches Erasmus-Programm, ein Flokati für das Durchgangszimmer im digitalen Dorf.

Coldplay mit "Viva la Vida"-Konzert in Hannover
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Aufgenommen wurde zunächst in einer umgebauten Bäckerei in London, dann zog man in eine leerstehende Kirche um, was gut passt, denn die getürmten Sounds, die Brian Eno — neuerdings assoziiertes Bandmitglied und nicht mehr Produzent — beisteuert, sind mit dem Begriff Klangkathedralik treffend beschrieben.

Eno, der auch den Klang von U2 designt, grundiert fast jeden Song mit synthetischen Flächen. Darauf stellt die Band die typischen Gitarrenakkorde und den Gesang, der immer ein wenig nach wollschaliger Verschnupftheit klingt. Obendrauf legt Eno ein paar Frickelperlen, gebrochene Beats aus dem Dubstep etwa oder behaglich brummende Bässe. Sieben Millionen Mal verkaufte sich das letzte Coldplay-Album "Viva La Vida", es stand in 36 Ländern auf Platz eins der Charts, und das war eine Platte, deren Songs eine Einheit bildeten, ein Produkt aus einem Guss.

Rihanna zum Duett geladen

"Mylo Xyloto" wirkt nun disparater, und obwohl die Band dem klassischen Sound treubleibt und natürlich Material fürs Mitsingen in den Arenen liefert, erlaubt sie sich allerlei atmosphärische Spielereien und abwegige Zitate wie die Samples aus den Songs "Takk" der Sphären-Rocker Sigur Ros und "Ritmo De La Noche" des deutschen Produzenten Alex Christensen. Sie laden den amerikanischen R'n'B-Star Rihanna für das Lied "Princess Of China" zum Duett, und gerade diese Einflüsse geben dem Album seine Welthaltigkeit.

Die Mitglieder von Coldplay lernten sich einst im London University College kennen. Sie machten zunächst jene Art Gitarrenpop, die Haderern und Abseitsstehern aus der Seele spricht, und noch immer spürt man den Drang des Quartetts, die Hand auszustrecken und "wir" zu sagen: Alleinsein bedeutet bei Coldplay, Mitglied einer großen Gemeinschaft zu sein, die gerade deshalb eine ist, weil jedes ihrer Mitglieder auf sich gestellt gegen das Alleinsein kämpft. Oder — mit Songtiteln gesprochen: "Us Against The World" sowie "Don't Let It Break Your Heart".

Gutes Leben ist möglich

Während U2 die Erlösung anstrebt und drauf und dran ist, ins Kosmische zu entschweben, geben sich die Musiker von Coldplay als Stellvertreter — nicht ohne Grund steigen sie bei Konzerten bisweilen von der Bühne und spielen einen Song mitten im Publikum, auf Augenhöhe.

"Mylo Xyloto" ist der Soundtrack unserer Gegenwart, und man mag das Album mit seinen vielen meditativen Stellen als langweilig empfinden, als Verwaltungsakt eines global operierenden Millionenkonzerns oder bloß als Rüstzeug für die angekündigte Großraum-Tournee. Was man ihm indes nicht absprechen kann, ist das utopische Moment. Es sagt: Gutes Leben ist möglich. Und das hört jeder gern.

(RP)
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