Düsseldorf Lieb grüßt das Muttersöhnchen

Düsseldorf · Diese Szene wird am kommenden Sonntag tausendfach zu erleben sein: Kleine Jungen, die am Muttertag ihrer Mama artig die Liebe oder wenigstens Zuneigung bekunden. Solche Schwüre sind nett und rührend, wenn sie vom Fünfjährigen kommen; sie werden bedenklich, wenn der 19-Jährige sie spricht; ein wenig peinlich, wenn darauf der 30-Jährige nicht verzichten mag; und sie sind pathologisch, wenn noch der 50-Jährige sie mit Inbrunst über die Lippen bringt. Das ist die Schattenseite des Muttertags, denn zwischen den Blüten des üppigen Blumenstraußes lugt das Muttersöhnchen hervor.

Wie die Verkleinerungsform schon nahelegt, steht dieser Typus Mann nicht allzu hoch im gesellschaftlichen Ansehen. Muttersöhnchen gelten als abhängige Menschen, die sich zeitlebens nicht von der Mama abnabeln konnten. Muttersöhnchen, so die Psychoanalytikerin Claudia Sies, sind immer einen Tick zu freundlich, wenn sie zur Tür hereinkommen. Sie haben große Angst vor Ablehnung und versuchen, Beziehungen zu erobern, indem sie sich anpassen.

Das Muttersöhnchen ist also kein allzu freundliches Etikett, weshalb sie eher im Verborgenen agieren. Das war in der Zeit vor Freud noch anders, da frönte man mehr oder weniger ungehemmt seiner inniglichen Mutter-Liebe – zumal in Briefen.

Eine feine Kollektion solcher Dokumente ist jetzt unter dem Seufzer-Titel "Ach, Mutter" in der "edition chrismon" (zwölf Euro) erschienen: eine Sammlung mit Texten großer Namen, darunter der Philosoph Ludwig Feuerbach, der als Pubertierender der "Teuersten Mutter" nur das Beste wünscht, "aus einem Gefühl der Dankbarkeit für Deine Liebe und Deine vielen Wohltaten, die Du mir bisher erwiesen hast". Kaum zu halten in seiner grenzenlosen Mutterliebe ist der Komponist Richard Wagner, der als junger Mann nach vielen hymnischen Sätzen dann zu diesem Abschluss seiner Eloge findet: "Meine liebe, liebe Mutter, – welch' ein Erbärmlicher wäre ich doch, wenn ich je gegen Dich erkalten könnte! –" Dagegen ist jede Nibelungentreue eine flüchtige Beziehung.

Friedrich Nietzsche war auch so einer, allerdings mit deutlich pragmatischem Einschlag. Nach dem großen Mutterlob folgt kurz vor Schluss recht unvermittelt der entlarvende Satz: "Schicke mir ja recht pünktlich die 40 Thl. für den Juli." Auch der Philosoph hat diesen Stilbruch bemerkt und schnell dazugesetzt: "Mit Geldsachen will ich den Brief nicht verderben . . ."

Es gibt staatsmännische Muttersöhnchen wie Preußen-König Friedrich II. ("Gnädige Frau"), klassische wie Goethe ("Mein Verlangen"), kecke wie Harry Heine ("Schreib mir nur recht viel und bald") und übermütige wie Mozart, der "Madame Mutter!" ein Gedicht über sein lustiges Leben zukommen lässt: "Gefurzt wird allzeit auf die Nacht / Und immer so, dass es brav kracht." Auch sein Abschiedsgruß ist speziell: "Dero getreues Kind / ich hab den Grind."

Das hohe Lob der Mutter spricht tausend Bände – und vor allem über den Absender der Briefe. Unnachahmlich, wie stramm und sportlich Turnvater Jahn sein Schreiben an die liebe Mama enden lässt: "Lebe wohl, nach Neujahr mehr. Wir grüßen alle herzlich."

(RP)
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