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Stuttgart 21 Schwaben auf den Barrikaden

(RP). In der Hauptstadt Baden-Württembergs soll ein unterirdischer Durchgangsbahnhof den historischen Kopfbahnhof ersetzen. Für das Projekt Stuttgart 21 wird die größte Baustelle Europas angelegt. Der Widerstand wächst von Tag zu Tag und stellt demokratische Spielregeln in Frage.

Stuttgart21-Gegner bilden Menschenkette
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Heute werden sich wieder Tausende von Demonstranten vor dem Stuttgarter Hauptbahnhof versammeln und gegen das Bahnprojekt Stuttgart 21 protestieren. Sie wollen verhindern, dass in einem gigantischen Kraftakt — der wenigstens zehn, vielleicht aber auch 15 oder 20 Jahre dauern wird — sämtliche Gleisanlagen der Schwaben-Metropole in den Untergrund verlegt werden. In dieser Woche sind die ersten Bagger angerückt, das hat dem Bürgerzorn zusätzlich Auftrieb gegeben. Zur 40. Montags-Demonstration in drei Tagen werden wahrscheinlich so viele Menschen kommen wie noch nie und Transparente tragen mit Aufschriften wie "Endstation Wahnhof" oder "Bei Abriss Aufstand".

"Die Schwaben sind nicht so schnell aus der Ruhe zu bringen, aber wenn sie einmal aufgebracht sind, sind sie es ausdauernd", sagt Axel Wieland, Vorsitzender des BUND in Stuttgart und einer der Organisatoren des Widerstands gegen das Bahnprojekt. Freundliche ältere Herren proben Sitzblockaden vor dem Bauzaun, jugendliche Demonstranten machen ihrem Ärger mit Vuvuzela-Lärm Luft: Die Protestierer kommen aus allen Schichten und Altersgruppen, hat Oscar W. Gabriel, Professor für Politikwissenschaft an der Universität Stuttgart, beobachtet.

Was aber treibt nun die Bürger auf die Barrikaden gegen ein Projekt, dessen Für und Wider jahrzehntelang abgewogen worden ist und das in allen Volksvertretungen — vom Stuttgarter Gemeinderat bis zum Bundestag — deutliche Mehrheiten erhalten hat? Es habe seitdem eine Fülle von neuen Erkenntnissen gegeben, die Stuttgart 21 fragwürdig erscheinen ließen, sagt Axel Wieland.

An erster Stelle nennt er ein von der Stadt Stuttgart in Auftrag gegebenes und zwei Jahre lang unter Verschluss gehaltenes Gutachten. Schweizer Experten äußern darin die Sorge, dass der neue unterirdische Bahnhof mit seinen acht Gleisen zum Nadelöhr werden könnte, während der historische 17-gleisige Kopfbahnhof deutlich flexibler auf Störungen im Bahnbetrieb reagieren könne. Eine zweite, für das Umweltbundesamt erstellte Studie, kommt ebenfalls zu dem Schluss, dass Stuttgart 21 im Verbund mit der Neubaustrecke nach Ulm mehr schadet als nutzt.

Die Geologie des Stuttgarter Talkessels liefert den Projekt-Gegnern ein weiteres Argument. Das dort reichlich vorkommende Anhydrit quillt beim Kontakt mit Wasser um bis zu 50 Prozent auf. Bei den vielen Tunnelkilometern, die gebohrt werden müssen, dürfte sich vielerorts die von den Ingenieuren gefürchtete "Salzsprengung" kaum vermeiden lassen.

Für Wieland ist klar, dass diese Komplikationen den Zeit- und den Kostenrahmen des Projekts sprengen werden. Es sei völlig unklar, wie das Aufschwimmen der unterirdischen Station verhindert werden soll. Derzeit gehen die Bauherren von Gesamtkosten mit Tunnelzufahrten von 4,1 Milliarden Euro aus.

Die Lichtkuppeln der neuen Station sind den Widerständlern ein weiterer Dorn im Auge. Denn sie trennen als "Riesen-Querriegel" den innenstadtnah gelegenen Teil des Schlossparks von der übrigen Gartenanlage, kritisiert Wieland. "Das greift ins Herz der Stadt ein." Es nütze wenig, wenn der spätere Abbau der überflüssigen oberirdischen Gleisanlagen die Erweiterung des Schlossparks ermögliche. Wieland beklagt auch, dass 200 alte Bäume gefällt werden sollen.

Unterschiedliche Ansichten gibt es zudem über den architektonischen Rang des 1927 von Paul Bonatz erbauten Kopfbahnhofs. Der Nordflügel des denkmalgeschützten Gebäudes soll für Stuttgart 21 abgerissen werden. Die Haupthalle bleibt als Zugang zu den Gleisen erhalten. Während der Düsseldorfer Architekt Christoph Ingenhoven (der den neuen Bahnhof entwarf) den Bonatz-Bau als Produkt einer antimoderne Haltung bezeichnet, wollen einige Stuttgarter ihren alten Bahnhof am liebsten als Unesco-Weltkulturerbe sehen. Allerdings gründlich modernisiert — für einen Bruchteil der Summe, die Stuttgart 21 kosten soll.

Der Weg zu diesem Ziel scheint jedoch versperrt. Abgesehen davon, dass angeblich 1,4 Milliarden Euro verloren wären, wenn man jetzt abbräche, gibt es keinen verfassungsgemäßen Weg, die Parlamentsbeschlüsse rückgängig zu machen. Für Wieland stellt sich deshalb die Demokratiefrage. Die Bürger dürften nur alle paar Jahre ihre Vertreter wählen, hätten aber bei der Entscheidung zu konkreten großen Projekten nichts zu sagen. Dieses Demokratieverständnis findet Politologe Gabriel problematisch. Demokratie bedeute, auch Entscheidungen zu akzeptieren, mit denen man nicht einverstanden sei. Der Protest hätte vor den Entscheidungen kommen müssen.

Laut Grundgesetz geht alle Staatsgewalt vom Volke aus. Aber, so heißt es in Artikel 20 weiter, "sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt".

(RP)
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