Frankfurt "Ich bin ein Berliner"

Frankfurt · Der türkische Journalist Can Dündar gehört zu den Lieblingsfeinden von Staatspräsident Erdogan.

Sein "Verbrechen" war Journalismus. Sein Verbrechen war es, ein Geheimnis aufgedeckt zu haben, dass nämlich der Geheimdienst seines Heimatlandes - die Türkei - illegal Waffen nach Syrien geliefert hat. Nach diesem Artikel ist die Welt für Can Dündar eine andere geworden: Er wird verhaftet, sitzt drei Monate in Einzelhaft. Später fordert die Staatsanwaltschaft gegen ihn, den vermeintlichen Landesverräter, zweimal lebenslänglich. Nach altem Strafrecht, sagt Dündar, hätte das ein Todesurteil bedeutet. Doch der Journalist hat doch noch Glück. Während des Putschversuchs im Juli 2016 in der Türkei ist er im Ausland, zufällig. Und seine Familie entscheidet: Komm nicht mehr zurück. Es wäre zu gefährlich, wahrscheinlich lebensgefährlich. Seither lebt der mutige Journalist im Berliner Exil. Trotz allem ist Can Dündar kein gebrochener Mann. Wir treffen ihn in Frankfurt. Er hat ein neues Buch geschrieben - über sich, sein Leben, seine Flucht, seine Angst noch heute. Der Titel: "Verräter".

Can Dündar ist nicht einer unter vielen. Seine Arbeit ist mit dem Menschenrechtspreis von "Reporter ohne Grenzen" ausgezeichnet worden, er bekam die Goldene Victoria für Pressefreiheit und seine Tageszeitung "Cumhuriyet", deren Chefredakteur er war, den Alternativen Nobelpreis 2016. Solche Prominenz ist in der Türkei kein Schutz, sondern eine Provokation. Eine Fotomontage taucht in der Türkei auf; sie zeigt Dündar als Fetullah-Gülen-Anhänger. Einen "Terroristen-Kolumnisten-Schlappschwanz" hat Staatspräsident Erdogan ihn im November genannt. Damit wurde der Journalist zu einem der Lieblingsfeinde des türkischen Staatspräsidenten.

Der Preis seiner Arbeit ist hoch. Er musste seine Familie verlassen und hat seine Frau - ihr wird bis heute die Ausreise verweigert - nicht mehr gesehen. Natürlich treibt ihn darum die Frage um: Exil oder "Heimkehr". Die Entscheidung ist ihm schwer gefallen, aber sie war letztlich ohne Alternative: "Ich würde nicht in ein Land, sondern ins Gefängnis zurückkehren, in eine Zelle aus Beton."

Dann also Berlin. Die Stadt ist mehr als ein trübes Exil. "Ich bin ein Berliner", sagt der 56-Jährige. Die deutsche Hauptstadt sei zwar rau, aber multikulturell, mithin ein gutes Pflaster für Exilanten und darum geeigneter als Paris oder London. Doch auch in Berlin wird Dündar bedroht. U-Bahn-Fahrten können heikel werden. Und er verzichtet darauf, ein Taxi zu nehmen, da unter den türkischen Fahrern viele Erdogan-Anhänger sind und ihn sofort erkennen. "Ich habe keine Angst vor ihnen, doch es ist unangenehm." Plötzlich muss auch das sorgsam überlegt werden: "Wie komme ich sicher von hier nach da?" Kürzlich stellte die Türkei den Antrag, auch ihn auf die Fahndungsliste von Interpol zu setzen. Dass Can Dündar ausgeliefert wird, ist unwahrscheinlich. "Erdogan lässt Tausende auf diese Liste setzen", sagt er. "Jetzt ist es an der Zeit von Interpol zu unterscheiden, wer von diesen Menschen ein Verfolgter ist." Doch natürlich nagen auch solche Aktionen an seinem Nervenkostüm.

Can Dündar ist gut vernetzt. Er trifft Gauck, Steinmeier und Merkel - versucht seine Sicht auf die Türkei auch deutschen Spitzenpolitikern klarzumachen. Anfangs hätten viele westliche Politiker in Erdogan nur eine Art soften Islamisten gesehen. Eine fatale Fehleinschätzung, denn nun habe dieser drei Millionen Geißeln, die er Flüchtlinge nennt und die ihm Kraft geben.

Mittlerweile hat Dündar auch eine journalistische Onlineplattform gegründet. Das hört sich fast nach ein bisschen Heimat an, nach einer Alternative, im Exil zu arbeiten und zu leben. Doch Can Dündar träumt noch viele Träume. Sein größter ist immer noch dieser, wie er sagt: in eine demokratische Türkei zurückzukehren, zurück zu seiner Familie.

(los)
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