Weg frei für Beitrittsgespräche Türkei unterstützt Nato-Mitgliedschaft Schwedens und Finnlands

Madrid · Die Beitrittsgespräche zur Nato-Norderweiterung können starten: Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan gibt seine wochenlange Blockadehaltung gegenüber Schweden und Finnland auf - allerdings nicht ohne Gegenleistungen.

Madrid: Nato-Gipfel  wird zur „Festung“
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Nato-Gipfel - Madrid wird zur „Festung“

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Foto: AP/Susan Walsh

Die Türkei hat ihren Widerstand gegen die Aufnahme von Schweden und Finnland in die Nato aufgegeben. Die Türkei werde während des Nato-Gipfels in Madrid die Einladung an die beiden nordischen Länder, Bündnismitglied zu werden, unterstützen, teilte der finnische Präsident Sauli Niinistö am Dienstagabend mit. Ein entsprechendes Memorandum sei nach einem Treffen mit Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg, Schwedens Ministerpräsidentin Magdalena Andersson und dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan von den Außenministern der drei Länder unterschrieben worden.

Erdogan erwirkte im Gegenzug deutliche Zugeständnisse. Nach Angaben von Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg sagten Finnland und Schweden Erdogan ein „hartes Durchgreifen“ gegen die kurdische Arbeiterpartei PKK zu, die in der Türkei, der EU und den USA als terroristische Organisation eingestuft wird. Zudem wollen Finnland und Schweden eine Auslieferung von Menschen prüfen, die in der Türkei unter Terrorverdacht stehen. Ein Waffenexport-Embargo gegen Ankara steht ebenfalls auf der Kippe.

Nato-Partner wie Deutschland, aber auch andere EU-Länder wie Schweden haben aus Protest gegen eine türkische Offensive gegen die YPG in Nordsyrien im Jahr 2019 Rüstungslieferungen in die Türkei teilweise gestoppt. Die Türkei betrachtet das als Affront, da sie den Einsatz in Syrien als notwendigen Schritt im Kampf gegen den Terrorismus ansieht.

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In der Mitteilung des finnischen Präsidenten Niinistö hieß es, das gemeinsame Memorandum unterstreiche die Verpflichtung Finnlands, Schwedens und der Türkei, ihre volle Unterstützung gegen die Bedrohung der Sicherheit des jeweils anderen Landes zu gewährleisten. „Dass wir Nato-Bündnispartner werden, wird diese Verpflichtung noch verstärken.“

Finnland und Schweden sind bislang keine Nato-Mitglieder, aber enge Partner des Verteidigungsbündnisses. Russlands Einmarsch in die Ukraine löste jedoch in den beiden militärisch bisher bündnisfreien Ländern intensive Debatten über eine solche Mitgliedschaft aus. Am 18. Mai beantragten sie jeweils die Aufnahme in die Nato - in der Hoffnung, das Prozedere bis zum letztlichen Beitritt möglichst schnell durchlaufen zu können.

Die Türkei schob dem allerdings prompt einen Riegel vor, indem sie als einziges Nato-Mitglied den Beginn des Aufnahmeprozesses blockierte. Da Entscheidungen in der Nato nach dem Konsensprinzip und damit nicht gegen den Widerstand von Verbündeten getroffen werden, stockte der Prozess seitdem. Für das Bündnis war das ein unerwarteter Rückschlag, schließlich bemüht es sich seit Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine darum, Einheit und Geschlossenheit zu zeigen.

Ankara begründete seine Blockadehaltung mit der angeblichen schwedischen und finnischen Unterstützung von „Terrororganisationen“ wie der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK, der syrischen Kurdenmiliz YPG und der Gülen-Bewegung - in Stockholm und Helsinki wird das zurückgewiesen. Erdogan ging es darüber hinaus um die Aufhebung von Beschränkungen für Waffenexporte in die Türkei.

Vor allem gegen Schweden richtete sich Erdogans Zorn. Dort leben etwa 100.000 Kurden, eine kurdischstämmige Politikerin sitzt im schwedischen Parlament. Die Regierung in Stockholm unterstützt zudem die Volksverteidigungseinheiten der YPG - eine kurdische Miliz in Syrien, die Ankara ein Dorn im Auge ist. Die Türkei hält die YPG, die mit US-Hilfe gegen die Dschihadistenmiliz Islamischer Staat (IS) gekämpft hat, für einen syrischen Ableger der PKK.

Stoltenberg versuchte zuletzt, zwischen der Türkei und den beiden möglichen künftigen Mitgliedern zu vermitteln. Er betonte mehrmals, dass man die türkischen Einwände ernst nehmen müsse. Die Hängepartie kam für die Nato zur Unzeit, wollte die Allianz gegenüber Russland doch Einigkeit demonstrieren. Putin dürfte über den offen zur Schau gestellten Streit äußerst erfreut gewesen sein.

Für Finnland und Schweden geht es in der Nato-Frage um einen historischen Schritt, schließlich sind beide Länder traditionell in militärischer Hinsicht bislang bündnisfrei. Beide betrachten Russland schon seit längerem als Bedrohung. Im finnischen Fall hängt das auch damit zusammen, dass das Land eine mehr als 1300 Kilometer lange Grenze zu Russland hat. Kein anderes EU-Land grenzt auf solch einer Länge an das Riesenreich.

Polizisten beobachten vom Dach des Königspalastes aus, wo später am Abend ein Galadinner für die Staatsoberhäupter der NATO in Madrid stattfinden wird.

Polizisten beobachten vom Dach des Königspalastes aus, wo später am Abend ein Galadinner für die Staatsoberhäupter der NATO in Madrid stattfinden wird.

Foto: AP/Andrea Comas

Ursprünglich gab es die Hoffnung, dass Finnland und Schweden noch in diesem Jahr offizielle Nato-Mitglieder werden können. Der Streit mit der Türkei hat Zweifel aufgeworfen, ob dieser lose Zeitplan hält. Nach dem Abschluss des Aufnahmeverfahrens innerhalb der Nato müssen die Beitrittsprotokolle von den Parlamenten in allen 30 Bündnisstaaten ratifiziert werden, was Schätzungen von Diplomaten zufolge innerhalb von sechs bis acht Monaten abgeschlossen sein dürfte.

(peng/chal/Reuters/dpa)
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