Kino-Kritik Harter Verbrecherfilm

Düsseldorf (RP). Chiko (Denis Moschitto) hat genug vom Herumlungern als kleiner Hasch-Händler in einer Hamburger Hochhaussiedlung. Er träumt von Respekt, Reichtum sowie Macht, und von einer krassen Karre, ganz in weiss, und möglichst mit Stern auf der Motorhaube.

Szenen aus "Chiko"
11 Bilder

Szenen aus "Chiko"

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Aber weil das auf die schnelle Art nur mit Drogendeals im großen Stil zu schaffen ist, muss man dem hiesigen Rauschgift-Boss Brownie (Moritz Bleibtreu) beweisen, dass man besser ist als dessen sonstige Handlanger. Mit seinem besten Kumpel Tibet (Volkan Özcan) verprügelt Chiko einen Dealer des Gangsters, um dadurch dessen Aufmerksamkeit zu erregen. Das klappt, und so sitzt Chiko bald in Begleitung zweier Gorillas vor Brownie. Der ist verärgert, aber auch beeindruckt von der Kaltschnäuzigkeit des Kiez-Bengels.

Schon die ersten Sequenzen von "Chiko" machen klar, dass man hier nicht in einem weiteren Stück Sozialarbeiter- Kino mit politisch korrekter Botschaft sitzt, das uns Filmemacher hierzulande so gerne auftischen. Nein, der Debütfilm des Deutschtürken Özgür Yildirim nimmt mit seinem rüden Gossenslang kein Blatt vor den Mund, scheut nicht vor brutalen Szenen zurück und erinnert in nicht wenigen Momenten an die frühen Filme eines Martin Scorsese oder Brian De Palma.

Man sieht, dass der 28-jährige Regisseur Klassiker wie "Hexenkessel" oder "Scarface" gesehen hat und sie in seinem eigenen Film fleißig zitiert. Kaum eine Szene, die man so nicht schon mal gesehen hat: das rasant geschnittene Verpacken des Stoffs, die Konfrontation auf der Herrentoilette, und sogar die Kopfrasur vorm Spiegel wie einst in "Taxi Driver". Dass der Schauplatz dabei statt New York oder Miami einfach Hamburg heißt und dass statt Italoamerikanern hier junge türkische Deutsche durch die Unterwelt toben, ist dabei nebensächlich: die Motive des Gangsterfilms funktionieren überall, und "Chiko", produziert von Fatih Akin ("Gegen die Wand"), ist ein Gangsterfilm.

So lässt Yildirim, der auch das Drehbuch verfasste, seine Titelfigur aufsteigen, vom schnöden Gras- zum neureichen Koksdealer mit Rolex, Benz und einer Edelhure als Freundin. Alles in Butter also, würde der beste Freund nicht den folgenschweren Fehler begehen und auf eigene Rechnung einige Gramm des Stoffs auf der Straße verticken. Dieser Betrug ist der Anfang vom Ende, der eine unvermeidliche Abwärtsspirale aus Hass, Rache und Gewalt in Gang setzt.

Bemerkenswert sind dabei die schauspielerischen Leistungen, auch wenn das Bestreben der Akteure, in Gestik und Mimik den jungen Robert de Niro, Harvey Keitel oder Al Pacino in ihren Anfangsjahren nachzueifern und dabei richtig böse Gesichter zu ziehen, mitunter etwas aufdringlich wirkt. Denis Moschitto, der sich bislang in eher belanglosen Komödien wie "Kebab Connection" herumtrieb, überrascht hier in seiner ersten ernsten Hauptrolle. Flankiert von einem Moritz Bleibtreu, der ein weiteres Mal mit Inbrunst den aggressiven Proll gibt und beweist, dass er zu den besten deutschen Schauspielern zählt. Doch die eigentliche Entdeckung ist Volkan Özcan, eigentlich Erzieher von Beruf, der seine Rolle so eindringlich verkörpert, dass man kaum glauben mag, dass er ein Schauspiel-Laie ist.

Natürlich zeigt "Chiko" irgendwann auch Schwächen, vor allem in der zweiten Filmhälfte, wenn der Regie-Newcomer zu sehr auf die Pathetik emotionaler Ausbrüche setzt. Und natürlich ist der Film auch kein neuer "Hexenkessel". Aber trotz aller Überzeichnung, die Ernsthaftigkeit, mit der Yildirim diese Geschichte und ihre Figuren vorantreibt, ohne einen einzigen Moment eine Einstellung in Frage zu stellen, diese Konsequenz sucht im deutschen Film wirklich ihresgleichen.

"Chiko" ist das, was man aus hiesigen Breiten viel zu selten zu sehen bekommt: eine gut gemachte Genregeschichte und nicht zuletzt die Talentprobe eines Regisseurs, von dem man sicherlich noch einiges hören wird.

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