Düsseldorf zeigt Dickens für kleine Zuschauer Gruseliges Theater zu Weihnachten

Düsseldorf · Der Weihnachts-Klassiker von Charles Dickens wurde jetzt am Jungen Schauspiel mit wohltuend sparsamen Mitteln inszeniert, effektvoll bis gruselig.

 Szene aus „A Christmas Carol" mit NoëmiKrausz und Denis Geyersbach als Geizhals Ebenezer Scrooge.

Szene aus „A Christmas Carol" mit NoëmiKrausz und Denis Geyersbach als Geizhals Ebenezer Scrooge.

Foto: David Baltzer

Ein Kreis aus Stuhlkissen umringt die Bühne. Dichter dran am Geschehen kann man kaum sein. Die anderen großen und kleinen Zuschauer verteilen sich auf der Tribüne im Central. Noch verbirgt der beherrschende viereckige Kubus in der Mitte das Bild, das sich gleich zeigen wird: locker arrangierte Koffer und fünf Schauspieler. Ganz vorn, über sein Buch gebeugt, der Geizhals Ebenezer Scrooge, die Hauptfigur in „Christmas Carol“.

Die Geschichte von Charles Dickens gehört zu den bekanntesten Weihnachts-Klassikern. Schon vor einem Jahr war alles vorbereitet für die Premiere im Jungen Schauspiel. Doch dann kam der Lockdown, die Lichter verloschen, die Türen der Theater blieben zu. Kein Familienstück in der Adventszeit. Umso größer ist die Freude jetzt, wo die Aufführung endlich vor Publikum gezeigt werden kann.

Regisseurin Mina Salehpour hat „Christmas Carol“ inszeniert und mit Musik von Sandro Tajouri angenehm angereichert. Gesungen wird gleich zu Beginn – ein schwungvolles Weihnachtslied, für das sich die Kinder eine Belohnung erhoffen. Bei Ebenezer Scrooge sind sie da aber an der komplett falschen Adresse. „Humbug!“ stößt der hartherzige Geldverleiher angewidert aus. Nichts kann ihn erweichen, auch nicht der Bittsteller, der Spenden für Bedürftige sammeln will: Gerade in der Weihnachtszeit werde die Not doch als besonders bitter empfunden. „Humbug!“ kreischt der alte Grantler erneut, er werde doch die Tagediebe nicht noch unterhalten. Für die gäbe es Armenhäuser und Gefängnisse.

Auch wenn sein gutmütiger Neffe sich trotz allem nicht entmutigen lässt und den Onkel alle Jahre wieder zum Weihnachtsessen bittet, schlägt dieser die Einladung aus. „Warum können wir nicht Freunde sein?“ fragt der Neffe. Die harsche Antwort: „Weil wir bereits Verwandte sind.“

So formt sich das Bild eines rachsüchtigen, habgierigen Mannes heraus. In „Christmas Carol“, 1843 veröffentlicht, prangerte Charles Dickens soziale Missstände an. Reichtum, Geiz und Kälte auf der einen Seite, Armut, Not und das manchmal kleine Glück auf der anderen. Seine Botschaft: Menschen müssen zusammenrücken und jene unterstützen, die Hilfe am dringendsten brauchen. Das erzählt er mit den Mitteln eines Märchens. Nacheinander erscheinen Ebenezer Scrooge die Geister der weihnachtlichen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.

Der Text von Dickens wird zugleich vorgelesen und mit großer Lust umgesetzt. Bis auf Denis Geyersbach als Ebenezer Scrooge sind alle weiteren Rollen auf vier Schauspieler verteilt, die geschwind und sichtbar in ihre jeweiligen Kostüme schlüpfen: Selin Dörtkades, Jonathan Gyles, Paul Jumin Hoffmann und (bei der Premiere) Thomas Kitsche, der im Wechsel mit Noemi Krausz auftritt.

Eine wohltuende Inszenierung, die ohne Videoeinspielungen und andere Ablenkungen auskommt. Sie konzentriert sich voll und ganz auf die Geschichte, mit sparsamen und dennoch effektvollen Mitteln. Es flittert, funkelt und glittert. Vom Himmel fallen silberne Girlanden, und es braucht nur wenig Phantasie, sich dabei einen Ballsaal vorzustellen. Oder die Gäste, die angekündigt werden: schüchtern, dreist, anmutig, linkisch. Oder die Speisen, üppig wie im Schlaraffenland.

Freilich geht es auch ganz schön gruselig zu. Etwa als Ebenezer Scrooge sein vor sieben Jahren am Weihnachtsabend verstorbener Geschäftspartner Marley erscheint. Eine düstere Gestalt, die schwere Ketten mit sich schleppt und den Geizhals zur Umkehr mahnt, bevor es zu spät sei. Da wird es Scrooge dann doch unheimlich zumute. Er kontrolliert jeden Raum seiner Wohnung und seufzt erleichtert auf: „Alles in Ordnung.“

Nacheinander rollen Szenen aus seiner Kindheit vor ihm ab, schon damals war er ein einsamer Junge. Er erblickt seine Jugendliebe, die später ein glückliches Familienleben führte, muss mit anhören, wie er wegen seines Geizes zum Gespött der Leute wird. Und wie sie am Ende seine Habe verteilen und ihm sein letztes Hemd nehmen. Buchstäblich, denn es ist das Leichenhemd. Verstört bemerkt er, dass er selbst der Tote unter den weißen Tüchern ist. Das bringt ihn endgültig zur Besinnung. Scrooge wird ein anderer, ein wohltätiger Mensch, freundlich zu jedermann.

Manche Bilder könnten unvorbereitete Kinder überfordern, ihnen womöglich auch Angst einflößen. Zumal Sechsjährige, denn ab diesem Alter wird das Stück empfohlen. Besser, man liest die Geschichte zuvor mit ihnen gemeinsam oder erzählt ihnen davon. Bei der Premiere war es mucksmäuschenstill im Central. Ein gutes Zeichen für die hohe Qualität der Aufführung. Langer, begeisterter Applaus.

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