Matisse und Bonnard Giganten des Farbzaubers

Mit Matisse und Bonnard gibt der künftige Düsseldorfer Kunstpalast-Chef Felix Krämereinen fulminanten Ausstand in Frankfurt.

Gleich und Gleich gesellt sich gern, sagt man, aber auch: Gegensätze ziehen sich an. Für Henri Matisse (1869-1954) und Pierre Bonnard (1867-1947), die beiden Giganten der modernen französischen Malerei, gilt beides. Voller Hochachtung verfolgte der selbstbewusste, dem Luxus zugetane Matisse die Arbeit des schüchternen, Motive aus dem Alltag greifenden Bonnard und umgekehrt. Felix Krämer, der künftige Direktor des Düsseldorfer Museums Kunstpalast, hat diese ungewöhnliche Freundschaft mit hochrangigen Leihgaben aus aller Welt belegt, an seinem bisherigen Arbeitsplatz Frankfurter Städel. Damit schenkt er der Kunstwelt eine der einprägsamsten Ausstellungen der letzten Jahre.

Die Gegensätzlichkeit der beiden tritt bereits am Eingang zutage. Fotografien von Henri Cartier-Bresson zeigen zur Rechten Matisse in seinen ornamentalen Gemächern, wie er Gemälde begutachtet oder eine junge Dame porträtiert. Links gegenüber hockt, ebenfalls von Cartier-Bresson ins Bild gesetzt, Bonnard vor kahlen Wänden und darangelehnten Bildern, als sei er soeben vom Fotografen überrascht worden.

Zwei unterschiedliche Charaktere, zwei unterschiedliche Maler -aber doch ganz nah einander in ihrer Liebe zur Farbe.

Wie unterschiedlich sie damit spielten, zeigt sich an der eindrucksvollsten Gegenüberstellung der Schau, der Begegnung von Matisses Hauptwerk "Großer liegender Akt" aus dem Baltimore Museum of Art und Bonnards "Liegendem Akt auf weißblau kariertem Grund" aus dem Städelmuseum. Matisse stellt seinen weiblichen Akt fast ohne Schattierungen dar, mit scharfen Konturen, das Gesicht dem Betrachter zugewandt. "Klare Kante" ist sein Markenzeichen. Bonnards Akt dagegen, der wie derjenige von Matisse auf weißblau kariertem Grund lagert, enthält verschattete Partien. Gesicht, Haare und weißblaue Grundierung fließen ineinander, Augen, Mund und Nase von Bonnards Lebensgefährtin und späterer Ehefrau Marthe sind bloß angedeutet. Statt gegeneinandergesetzter, plakativer Farbflächen wie bei Matisse stellt Bonnard eine stille Harmonie aus Farben und Formen her. Vermutlich hat sein Bild den Anstoß zu Matisses auffallend ähnlicher Komposition gegeben.

Beim Gang durch die Ausstellung glaubt man bald, Matisse und Bonnard schon von Weitem auseinanderhalten zu können. Doch Vorsicht. Die beiden besuchten einander oft im heimischen Südfrankreich, ließen sich dabei von den Bildern des jeweils anderen inspirieren, und so kommt es, dass Bonnards Gemälde "Arbeitstisch" mit Ornamenten versehen ist, auf Farbflächen setzt und einen klaren Mittelpunkt aufweist ganz nach Matissescher Manier. Matisses "Stillleben mit ,Der Tanz'" daneben aber ginge als Bonnard durch, träte im Hintergrund nicht Matisses berühmter "Tanz" zutage. Das Bild wirkt kleinteilig, fordert zum Suchen auf, baut mehr auf farbliche Harmonie als auf knalligen Kontrast.

Hinter einer Doppelausstellung lauert immer die Frage: Wer war der Größere von beiden? Der Bekanntere ist hierzulande Matisse, vielleicht weil er mit seiner Ordnung, seiner Klarheit, seinem Hang zum Plakativen und Dekorativen den deutschen Geschmack besser trifft als sein Landsmann. Der wirkt in seinen Bildern eher grüblerisch und zugleich raffiniert - was in Deutschland ebenfalls eine Tradition hat. Man blicke auf ein Bild wie "Das Esszimmer". Zwei nuancenreich gemalte Figuren umfangen einen Tisch im Vordergrund, auf dem zwei Früchteteller einen beiläufigen Mittelpunkt bilden. Rechts gibt ein geöffnetes Fenster den Blick auf eine helle Landschaft frei. Nur wer genau hinschaut, erkennt im Glas der geöffneten Terrassentür einen dunkel gespiegelten, gespenstischen Kopf -Bonnard im heimlichen Selbstporträt.

Bonnard ist auch von seiner Haltung hintergründiger, als man vermuten mag. Im Großformat "Die Familie Terrasse" füllt eine Unzahl verschwimmender Personen einen Garten. Selbst wo sie einander zugewandt sind, wirken sie steif. Ein Junge blickt nach vorn ins Unbestimmte, als gehöre er nicht dazu. Bonnard war kein Idyllenmaler. Er schaute auch in den Abgrund der französischen Mittelklasse.

Der Respekt der beiden Maler voreinander ging so weit, dass sie um das Markenzeichen des anderen einen Bogen machten. Matisse malte keine Szenen weiblicher Toilette, Bonnard keine Odalisken. So zählen die verhaltenen Akte am Waschtisch, vor dem Spiegel und am Fenster unverkennbar zu den anmutigsten Bildern Bonnards, während üppige, zur Schau gestellte Brüste die Marke Matisse kennzeichnen. Rhythmen durchwirken diejenigen Gemälde, deren Motive er auf seinen Reisen durch Nordafrika fand. Von einer "göttlichen Nonchalance" sprach er in diesem Zusammenhang.

Matisse ist der Angeber der beiden, einer, der sich einen Chauffeur hielt und ihn regelmäßig beauftragte, den Hund zum Friseur zu fahren. Bonnard, der in sich Zurückgezogene, ist dagegen der Meister des Vertrackten, des Suchbilds, der die Motive seiner späten Werke oft aus seinem karg eingerichteten Wohnsitz Le Bosquet und dessen Umgebung bezog. Er ist auch ein Meister befremdlicher Stimmungen, einer, der selbst seine Marthe als Modell mit einer Aura des Umheimlichen umgab, anders als der Strahlemann Matisse.

Nach dem Rundgang vorbei an 100 Gemälden, Skulpturen und Zeichnungen aus der Zeit der 40-jährigen Freundschaft hat man sich abgewöhnt, einen Sieger küren zu wollen. Bonnard, so zeigt sich, war nicht die Nebenfigur der Moderne, zu der ihn die Kunstkritik außerhalb Frankreichs in den 40er Jahren herabstufte. Und Matisse war doch stärker auf Effekte bedacht, als man das seinerzeit wohl wahrnahm.

Vielleicht kann man Bonnard heute als einen Matisse für Fortgeschrittene bezeichnen. Die beiden Künstler aber hätten derlei Vergleiche abgelehnt. Einig waren sich die beiden selbst in ihrem sozialen Engagement. Als Pierre Bonnard 1944 für eine Wohltätigkeitsauktion für kriegsflüchtige Kinder ein Gemälde zur Verfügung stellte, beteiligte sich Henri Matisse als einziger weiterer Künstler gleichfalls mit einem Bild.

(B.M.)
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