Kassel Trotzdem eine schöne Documenta

Kassel · Das Kunstereignis endet mit künstlerisch guter und finanziell mieser Bilanz.

Die 14. Ausgabe der Documenta endet am Sonntag mit einem unvorhergesehenen Defizit von voraussichtlich sieben Millionen Euro. Gestern folgten heftige Vorwürfe gegen die Gesellschafter der Schau. Documenta-Chef Adam Szymczyk und sein Kuratorenteam veröffentlichten ein Schreiben, in dem es heißt, dass sich das Budget und die Strukturmittel seit 2012 nicht wesentlich verändert hätten, trotz der Tatsache, dass das in zwei Städten stattfindende Projekt größere Folgen für die finanzielle Seite haben würde. "Im Geiste einer gemeinsamen Auseinandersetzung glauben wir, dass es an der Zeit ist, das System der Wertschöpfung solcher Megaausstellungen wie der Documenta auf den Prüfstand zu stellen", heißt es. Und: "Wir möchten das ausbeuterische Modell, unter dem die rechtlichen Gesellschafter der Documenta produzieren möchten, anprangern."

Weit besser fällt die inhaltliche Bilanz aus: War das eine schöne Documenta! Solch vorbehaltloses Lob ist vermutlich schon den Machern der ersten Ausgabe im Jahr 1955 nicht zu Ohren gekommen. In jüngerer Zeit vermissten viele vor allem die großen Namen, denen man früher angeblich immer begegnete. Doch Vorsicht: Etliche der heute großen Namen waren damals noch unbekannt, und vielleicht sind zumindest einige der Unbekannten von heute die Leuchttürme von morgen.

Als vor Jahren die Globalisierung Einzug auf der Documenta hielt, tat sich mancher schwer damit einzugestehen, dass es auch außerhalb von Europa, den USA und Japan Kunst gibt, die zur Kenntnis zu nehmen sich lohnt. Heute ist der Blick nach China, Indien und Brasilien eine Selbstverständlichkeit. Noch nicht selbstverständlich ist, gemessen an der Kritik, dasjenige, was Kurator Adam Szymczyk dem Publikum zumutete. Mithilfe der Kunst haute er den Besuchern die Missstände der Welt um die Ohren - mit Themen wie Gewalt, Ausbeutung und Verfolgung von Minderheiten, Klimawandel, Raubkunst, Auflösung der Demokratie.

Im Ausstellungshaus Fridericianum überzeugte die Sammlung des Athener Nationalen Museums für Zeitgenössische Kunst durch Ästhetik und eine Vielfalt von Themen, die außerhalb üblicher Kategorisierung lagen. Selbstverständlich gab es auch die von Kritikern in den Vordergrund gezerrte "antikapitalistische" Kunst. Doch soll Kunst schweigen zur Ungerechtigkeit, die an vielen Orten der Erde zum Alltag zählt? Zu den plakativsten, aber auch nachhaltigsten Bildern gehörte der "Parthenon der verbotenen Bücher". Die argentinische Künstlerin Marta Minujín hatte die Besucher eingeladen, Säulen des Tempelnachbaus mit Büchern zu verkleiden, die einst verboten waren.

Wenn die Documenta-Leitung demnächst die Anzahl der Besucher bekanntgibt, wird das vermutlich eine Rekordzahl sein. Man spricht von einer Million, zuzüglich der 340.000, die in Athen gezählt wurden. Nicht jeder wird alles bewundert oder verstanden haben. Doch Ernst und Heiterkeit, die sich in den zurückliegenden Wochen auf den Gesichtern in Kassel abzeichneten, stellen der Documenta auch diesmal ein gutes Zeugnis aus. Gäbe es sie nicht, man müsste sie erfinden.

(B.M.)
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