Düsseldorf Zu viele Bagatellfälle in der Notaufnahme

Düsseldorf · Ärzte beklagen, dass ihnen die Zeit für Schwerkranke fehle, weil viele Patienten mit leichten Verletzungen die Ambulanz aufsuchen. Zur Abschreckung wollen sie Gebühren einführen: 10 Euro in Notfallpraxen und 20 Euro für Rettungswagen.

Wer mit Ärzten ins Gespräch kommt, hört viele solcher Geschichten: Ein mittelalter Mann kommt in die Krankenhausambulanz, weil ihn ein Insekt gestochen habe und er allergisch sei. Weil Allergien sogar tödlich enden können, wird er von den Ärzten schnell aufgerufen. Auf die Nachfrage, wie sich die Allergie äußert, erklärt der Mann, der Stich jucke und werde beim Kratzen rot. Oder ein 19-Jähriger, der um halb acht morgens in die Notaufnahme stürmt. Die Magenschmerzen sind zwar nur leicht, aber der Flieger in den Urlaub geht doch in ein paar Stunden.

Die vermeintlichen Anekdoten seien alles andere als lustig, sagt Sebastian Exner, Oberarzt und stellvertretender Vorsitzender des Ärzteverbands Hartmannbund Nordrhein. Denn die Fälle seien keine Seltenheit. "Wir erleben, dass immer mehr Menschen wegen leichter Erkrankungen die Notfalldienste in Anspruch nehmen." Davon betroffen seien vor allem Ambulanzen in den Krankenhäusern, aber auch Rettungsdienste und Notfallpraxen. Durch die Bagatellfälle komme es zu einer Mehrfachbelastung der Ärzte, denen häufig die Zeit für schwer erkrankte Patienten fehle. "Die Qualität der ärztlichen Behandlung droht hierunter zu leiden", sagt Stefan Schröter, Vorsitzender des Hartmannbundes Nordrhein.

Um des Problems Herr zu werden, hat der Hartmannbund, der nach eigenen Angaben 70 000 Ärzte vertritt, einen umstrittenen Vorschlag gemacht: Jeder Patient soll eine Gebühr bezahlen, wenn er einen der drei Notdienste in Anspruch nimmt. 10 Euro kostet der Besuch in der Notfallpraxis, die von den niedergelassen Ärzten außerhalb der normalen Öffnungszeiten betrieben wird, 20 Euro der Gang in die Krankenhausambulanz oder das Rufen eines Rettungswagens. Davon ausgenommen sollen die von Zuzahlung befreiten Patienten sein.

"Die Gebühr ist ein mögliches Instrument der Steuerung", erklärt Oberarzt Exner. So sollen Patienten abgehalten werden, bei leichten Erkrankungen die Notdienste zu nutzen, und stattdessen lieber ihren Hausarzt aufsuchen. Damit wollen die Ärzte den Mechanismus der Praxisgebühr, die Anfang 2013 abgeschafft worden war, wiederbeleben. Gesteuert werden soll auch, dass Patienten mit leichten Erkrankungen eher in die Notfallpraxen als in Krankenhäuser gehen.

Das eingenommene Geld soll nach den Plänen der Ärztevertreter in die Notdienste gesteckt werden. Vor allem die Ambulanzen sind chronisch unterfinanziert und machen hohe Verluste. Laut einer Studie des auf die Gesundheitsbranche spezialisierten Beratungsunternehmens Management Consult Kestermann von 2015 liegen die durchschnittlichen Kosten für ambulante Notfallpatienten bei 120 Euro pro Fall, die Erlöse jedoch nur bei 32 Euro - ein Minus von 88 Euro pro Fall. Mit den Ambulanzen machen die Krankenhäuser eine Milliarde Verlust pro Jahr. Während die Deutsche Krankenhausgesellschaft deshalb mehr Geld fordert, geht es den Ärztevertretern nach eigener Aussage vor allem um Anreize.

"Viele Patienten erzählen uns, dass es beim Hausarzt zu voll sei oder dass sie beim Facharzt ewig auf einen Termin warten müssten", sagt Silke Borchardt, die sieben Jahre als Assistenzärztin im Krankenhaus in Düren gearbeitet hat. Zwar werde nach der Schwere der Fälle sortiert, doch behandelt werde jeder. "Diese Zeit fehlt oft, um sich intensiver um die schweren Fälle zu kümmern.".

Doch dass die Gebühr an der Problematik etwas ändere, bezweifeln Kritiker. "Die Praxisgebühr hat gezeigt, dass solche Instrumente zum einen nicht wirken und zum anderen extrem sozial ungerecht sind", sagt Hilde Mattheis, gesundheitspolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion. "Wir müssen sicherstellen, dass Patienten rechtzeitig zum Arzt gehen - da ist die Gebühr kontraproduktiv", sagt Mattheis Pendant bei den Grünen, Maria Klein-Schmeink. Wichtiger sei es, die Menschen besser über die verschiedenen Behandlungsangebote zu informieren.

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort