Interview mit Georg Fahrenschon "Billiges Geld kann süchtig machen"

Düsseldorf · Sparkassen-Präsident Georg Fahrenschon (46) fordert die Europäische Zentralbank auf, die Zinsen zu erhöhen. Im Interview mit unserer Redaktion spricht er über die Gefahren des billigen Geldes.

 Sparkassen-Präsident Georg Fahrenschon.

Sparkassen-Präsident Georg Fahrenschon.

Foto: dapd, dapd

Sparen Sie eigentlich noch Geld?

Fahrenschon Ja, natürlich. Als Präsident des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes bin ich dem Schutz der Sparer verpflichtet und selbst natürlich auch zutiefst davon überzeugt, dass sich Sparen lohnt. Alles, was man heute konsumiert, das fehlt einem morgen.

Die Bürger konsumieren aber gerade gerne wegen der Minizinsen.

Fahrenschon Aus deutscher Sicht haben wir eine Zinssituation, die nicht der wirtschaftlichen Situation entspricht. Deshalb sehe ich die Politik der Europäischen Zentralbank (EZB) kritisch. Dieses historisch niedrige Zinsniveau entspricht nicht der konjunkturellen Lage der größten Volkswirtschaft in Europa. Niedrige Zinsen führen nicht dazu, dass die Unternehmen in Süd- und Osteuropa Kredite erhalten. Die Geschäftsbanken nutzen das billige Zentralbankgeld lieber, um ihren Frühjahrsputz zu organisieren. Diese Politik kauft in der Krisensituation zwar Zeit und bringt gefühlte Sicherheit, aber die ist mit gefährlichen Nebenwirkungen verbunden.

Welche?

Fahrenschon Alle werden immer abhängiger vom billigen Geld. Selbst Ankündigungen, dass sich der Zins in den USA auf ein normales Niveau entwickelt, bringen Teile der Weltwirtschaft in Schwierigkeiten. Das zeigt: In Teilen geht es uns schon wie dem Abhängigen, der nicht von der Nadel loskommt.

Billiges Geld ist die Droge der Wirtschaft?

Fahrenschon Es kann süchtig machen und verleitet dazu, dass sich die Mitgliedstaaten nicht entschulden, sondern neue Schulden aufnehmen.

Dennoch wird der Zins so schnell nicht steigen.

Fahrenschon Die EZB muss jetzt den Einstieg in den Ausstieg aus der Niedrigzinsphase einleiten. Die Prognose der EU-Kommission für das Wachstum in der Euro-Zone von 1,2 Prozent in diesem Jahr und 1,8 Prozent im nächsten Jahr bestätigt das.

Welchen zeitlichen Rahmen halten Sie für angemessen?

Fahrenschon Die Zentralbank sollte die Signale von der US-Notenbank aufnehmen. Dort ist die Rede davon, dass man in den nächsten zwölf bis 18 Monaten nicht die Zinswende verpassen darf.

Teilen Sie die Einschätzung des Währungsfonds (IWF), der vor Deflation, also fallenden Preisen, warnt.

Fahrenschon Nein. Der IWF unterschätzt die Rolle des Mittelstands in Deutschland und die Rolle Deutschlands in Europa. Dabei hat der Währungsfonds auch noch nicht hinreichend berücksichtigt, welch tragende Rolle Sparkassen und Volks- und Raiffeisenbanken für die Finanzierung der deutschen Wirtschaft haben. Der IWF hat vor fünf Jahren für Deutschland fünf Millionen Arbeitslose vorhergesagt. Das ist auch nicht eingetreten. Stattdessen ist Deutschland inzwischen die Konjunkturlokomotive Europas.

Droht eine Immobilienblase?

Fahrenschon Nein, da schließe ich mich der Bundesbank an. Bei allen immobilienwirtschaftlichen Entscheidungen entscheidet erstens die Lage, zweitens die Lage, und drittens die Lage. Wer sich daran orientiert, der läuft auch nicht Gefahr zum Opfer einer falschen immobilienwirtschaftlichen Entwicklung zu werden.

Die EZB beschäftigt den Europäischen Gerichtshof. Hat sie mit der Ankündigung, Staatsanleihen zu kaufen, ihr Mandat überschritten?

Fahrenschon Wir reden über einen Feuerwehreinsatz. Allein die Ankündigung, alles zu unternehmen, um die Währung stabil zu halten, hat ja Wirkung gezeigt. Dessen ungeachtet dürfen wir aber nicht zulassen, dass sich die EZB zu einer Art Ersatzregierung aufschwingt. Es dürfen nicht immer mehr Aufgaben an die Zentralbank delegiert werden, für die sie nicht ausgerüstet ist und kein Mandat hat. Die Frage, welche Politik für nachhaltiges Wirtschaftswachstum in welchem europäischen Land richtig ist, ist eine Aufgabe der nationalen Regierungen und ihrer Parlamente.

Als Bankenaufsicht hat die EZB ab November weitreichende Befugnisse.

Fahrenschon Die EZB ist als Notenbank nicht die richtige Institution dafür. Wenn sie jetzt aus ihrem Sonderstatut etwa beansprucht, dass jeder Akteur künftig in Englisch arbeitet und wir uns in Deutschland vom Handelsgesetzbuch zu trennen haben, um nach internationalen Vorgaben zu bilanzieren, dann ist das ein Holzweg. Wir würden das stabile Regionalbankenwesen und den Mittelstand vor unlösbare Probleme stellen. Wir arbeiten auf deutsch, unsere Kunden denken deutsch.

Die Bank möchte aber auch ein Auge auf kleinere Institute haben.

Fahrenschon Und das halte ich für falsch. Kein vernünftiger Tierparkmitarbeiter käme auf die Idee, Zebras und Löwen in ein Gehege zu sperren. Sparkassen sind keine Banken, sondern eine über 200 Jahre alte Antwort auf den berechtigten Wunsch der Bürger nach sicheren und wertsteigenden Einlagen und der lokalen Wirtschaft, aus dieser Einlage über Kredite Investitionen in der Region zu ermöglichen. Die EZB muss die internationalen Investmentbanken kontrollieren. Die Grenze in der Bilanzsumme von 30 Milliarden Euro halte ich für zu niedrig. Systemisch relevante Banken fangen bei anderen Regulierungen bei 70 Milliarden an. Jetzt fällt die Hamburger Sparkasse unter die direkte Obhut der EZB. Wir werden täglich mit Regularien überzogen, aber bei Hedgefonds und Schattenbanken hat sich überhaupt nichts getan. Wir kämpfen mit 1500 Seiten Basel III, und die anderen lachen sich dabei ins Fäustchen.

In diesem Jahr steht der Stresstest an. Es wird eine Lücke im Kernkapital im dreistelligen Milliarden-Bereich erwartet. Werden auch deutsche Institute Probleme bekommen?

Fahrenschon Ich habe keine Anzeichen dafür, dass die nationale Aufsicht nicht ordentlich gearbeitet hätte. Aus Sicht der deutschen Sparkassen-Finanzgruppe kann ich keinerlei Kapitalbedarf erkennen. Und die deutschen Banken haben in ihren Bilanzen in den letzten Jahren ordentlich gearbeitet. Viele Fehler aus den letzten zwei Jahrzehnten sind abgestellt.

Im Rahmen der Europäischen Einlagensicherung müssen national künftig 0,8 Prozent der Einlagen vorgehalten werden. Das kostet die Sparkassen viel Geld. Ist das ein Problem?

Fahrenschon Wir freuen uns zunächst, das Brüssel anerkannt hat, dass Sparkassen auch künftig zum Schutz der Einlagen ihrer Kunden füreinander einstehen können. Dass das teurer als bisher wird, war absehbar und wird von den Instituten geschultert werden. Wichtig ist, dass es auch zukünftig Brandschutzmauern gibt. Einlagensicherung ist zuvorderst eine nationale Aufgabe. Eine regionale Krise darf nicht als Schädlingsbefall alle treffen. Wovon wir nicht überzeugt sind, ist die Befüllung des einheitlichen Abwicklungsfonds. Ich bin dagegen, dass Sparkassen, Volks- und Raiffeisenbanken die Mittel zur europaweiten Abwicklung einer international engagierten Großbank aufbringen müssen. Es käme auch niemand auf die Idee, alle Kfz-Halter für die Sicherung von Gefahrguttransportern heranzuziehen.

Können die Sparkassen ihr Filialnetz aufrecht erhalten?

Fahrenschon Die Sparkassen sind in allen Regionen Deutschlands vertreten. Wir haben das dichteste Filialnetz — daran halten wir fest. In weiten Teilen der neuen Bundesländer gibt es kaum Wettbewerber. Natürlich gibt es auch die Entwicklung, Bankgeschäfte online zu tätigen. Sparkassen können beides. Wir haben in der Sparkassen-Finanzgruppe 130 000 Berater. Das sind Menschen aus Fleisch und Blut. In vielen Fällen ist nicht das anonyme Großrechnersystem, sondern das Gespräch gefragt.

ANDREAS GRUHN FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

(RP)
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