Bilanz Deutsche Tops und Flops der Olympischen Spiele

Viele goldene Momente, aber auch Enttäuschungen und Skandale: Eine Bilanz der Olympischen Spiele aus deutscher Sicht.

Tops
GOLDENE REITER: Die Dressur-Königinnen zeigten eine Machtdemonstration allererster Güte, und die ewige Pechmarie Julia Krajewski ritt in der Vielseitigkeit endlich ins Glück. Dreimal Gold und einmal Silber sammelten die deutschen Reiter - und die Konkurrenz muss sich warm anziehen. Das Dressur-Duell zwischen Olympiasiegerin Jessica von Bredow-Werndl und der ewigen Isabell Werth nimmt gerade erst an Fahrt auf, und auch Krajewskis vierbeiniger "Superstar" Amande de B'Neville hat die besten Jahre noch vor sich.

SLALOM-VIERERPACK: Nullnummer in Rio, Viererpack in Tokio: Die Slalom-Kanuten haben wirklich gar nichts ausgelassen, vier deutsche Medaillen in vier Wettkämpfen lautete die makellose Bilanz. Ricarda Funks Tränen um ihren in Rio tödlich verunglückten Trainer Stefan Henze und ihre vom Hochwasser gebeutelte Heimatregion im Ahrtal ließen niemanden kalt. Auch Andrea Herzog, Sideris Tasiadis und Hannes Aigner überzeugten bei ihren Bronzefahrten.

GROSSES TENNIS: Tränen des Glücks vergoss Alexander Zverev schon vor dem goldenen Triumph. Mit einem Wahnsinns-Comeback zerstörte er im Halbfinale den Traum vom Golden Slam des scheinbar unbezwingbaren Novak Djokovic. Und holte sich zwei Tage später im Finale die Goldmedaille, die eigentlich für Djokovic reserviert war. Olympiasieger im Männer-Einzel, das hat kein Deutscher vor ihm geschafft.

GROSSES TISCHTENNIS: An der ganz großen Sensation schrammte Dimitrij Ovtcharov nur haarscharf vorbei, und dennoch: Was für eine Leistung. Im Halbfinale brachte er den chinesischen Giganten Ma Long an den Rand des Abgrunds, zum Trost gab es sein zweites Einzel-Bronze nach 2012. Und auch im Team war Ovtcharov der Garant für den am Ende versilberten Finaleinzug. Mit seiner sechsten Olympia-Medaille schrieb er Geschichte, kein anderer Spieler hat dies erreicht.

ENDE DER DURSTSTRECKE: Lange 33 Jahre mussten die deutschen Schwimmer auf den nächsten Olympiasieger seit Michael Groß warten - dann schrieb Florian Wellbrock in der Bucht von Tokio sein "persönliches Sommermärchen". Als erster Deutscher überhaupt gewann er Gold im Freiwasser. Zuvor hatten Wellbrock und seine Verlobte Sarah Köhler mit jeweils Bronze schon die ersten Beckenmedaillen nach zwei Nullnummern in London und Rio gewonnen.

DRECHSLERS ERBIN: Malaika Mihambo glaubte immer an diese "allerletzte Chance" - und mit diesem letzten Sprung landete sie dann auch im puren Glück. Erst im sechsten Versuch setzte sich die Weltmeisterin aufs oberste Treppchen und kürte sich zur ersten deutschen Weitsprung-Olympiasiegerin seit Heike Drechsler 2000 in Sydney. Bei ihrem Flug in den Olymp konnte sie es sich sogar leisten, 20 Zentimeter am Brett zu verschenken.

REKORDSHOW: Mehr Dominanz geht nicht: Sage und schreibe drei Weltrekorde stellten die Frauen des Bahnrad-Vierers binnen 25 Stunden auf und rauschten zu Gold in der Mannschaftsverfolgung. Lisa Brennauer, Franziska Brauße, Lisa Klein und Mieke Kröger sorgten damit für den ersten Olympiasieg eines deutschen Frauen-Teams in der Königsdisziplin des Bahnrad-Sports überhaupt.

RINGER IM RAUSCH: Den Bierstand im olympischen Dorf suchte Frank Stäbler vergeblich, der Partystimmung bei den deutschen Ringern tat dies keinen Abbruch. Stäbler machte mit Bronze doch noch seinen Frieden mit Olympia, Denis Kudla zog nach, doch für das ganz große Highlight sorgte Aline Rotter-Focken als erste deutsche Ringer-Olympiasiegerin. Nun will sie sich einen zweiten Traum erfüllen: "Ein langes, glückliches Leben führen und eine kleine Familie gründen."

BOOTS-PAPA RAUHE: Erst der Sieg als "Boots-Papa" des Kajak-Vierers, dann die Ehre als Fannenträger bei der Schlussfeier - Ronald Rauhe eilte von einem Höhepunkt zum nächsten. In Tokio erlebte Rauhe seine sechsten Olympischen Spiele, seine 16 WM-Titel sind ebenso Rekord wie seine mehr als 60 Goldmedaillen bei deutschen Meisterschaften. Nach der Schlussfeier eilte Rauhe auf dem schnellsten Weg zurück nach Hause und verzichtete auf den Olympia-Empfang am Montag in Frankfurt. Am Dienstag fährt er nämlich Sohn Til zur Schule: "Das ist so abgesprochen. Ich werde mein Versprechen halten."

Flops
DER FALL MOSTER UND DER DOSB: Eindeutig der unwürdige Tiefpunkt der Spiele aus deutscher Sicht - und dabei geht es lange nicht nur um den unsäglichen "Kameltreiber"-Ausspruch von Patrick Moster. Dass es einen Tag dauerte, bis der Deutsche Olympische Sportbund den Sportdirektor der deutschen Radfahrer aus Tokio abzog, war mindestens genauso eklatant. Bei Rassismus muss man nämlich nicht erst "gründlich nachdenken", wie DOSB-Präsident Alfons Hörmann behauptete, um schnell richtig zu handeln.

BEST OF THE REST: Klar, Medaillen sind nicht alles - aber eben auch nicht völlig unwichtig für die Bilanz der Spiele. Und demnach ist Deutschland nur noch "Best of the Rest". Die Zahl der Goldmedaillen schrumpfte zwischen Rio (17) und Tokio (10) deutlich. China und die USA sind ohnehin unerreichbar - doch auch zu Japanern, Australiern und Briten klafft eine gewaltige Lücke. Stattdessen bewegte sich das deutsche Team in Tokio nur noch in Regionen von Italien, den Niederlanden oder Neuseeland.

SINNLOS-REISE: Das Wort "Flop" ist die passende Umschreibung für Simon Geschkes Tokio-Reise. Statt im Straßenrennen am Mount Fuji zu brillieren, musste der Radprofi nach seinem positiven Corona-Test die kahlen Wände seines engen Quarantäne-Zimmers anstarren - als "Zeitverschwendung" bezeichnete Geschke seine sinnloseste Dienstreise überhaupt. Nach zwei negativen Tests durfte er die Quarantäne nach acht Tagen vorzeitig verlassen und die Heimreise antreten.

FUßBALL-RESTERAMPE: Der deutsche Fußball gab in Tokio gar kein gutes Bild ab, das Aus in der Gruppenphase war dafür aber zweitrangig. Dass es einem DFB-Trainer aufgrund mangelnder Unterstützung der Klubs und Egoismus von Spielern nicht gelingt, einen Olympia-Kader mit 22 Spielern vollzukriegen, ist ein absolutes Armutszeugnis. U21-Erfolgscoach Stefan Kuntz musste einem leidtun - seine Tokio-Mission war von Beginn an zum Scheitern verurteilt.

GEFALLENER GOLD-FAVORIT: Wie tief die Trauer bei Oliver Zeidler saß, offenbarte sich der Öffentlichkeit erst mit einem Tag Verspätung. Das 2,03 m große und 103 kg schwere Kraftpaket hatte selbstbewusst Gold im Ruder-Einer angekündigt, ein Finale gewann er in Tokio auch - leider das falsche. Der Weltmeister zeigte im Halbfinale Nerven, am Ende blieben nur der Sieg im B-Endlauf und jede Menge Tränen und Wut auf sich selbst.

FEHLSCHÜTZEN: Fünf Finals, keine Medaille für die deutschen Sportschützen um Rio-Olympiasieger Christian Reitz - "es ist schon eher ein schlechtes Abschneiden", sagte Sportdirektor Heiner Gabelmann und brachte die Enttäuschung auf den Punkt. Zuletzt hatte es 2012 in London kein Edelmetall gegeben. Vom herausragenden Abschneiden in Rio (dreimal Gold, einmal Silber) waren die Pistolen-, Gewehr- und Flintenschützen in Japan meilenweit entfernt.

TRAURIGE TEAMS: Was waren die Mannschaftssportarten mal für Medaillengaranten. In Rio bescherten die deutschen Fußballerinnen und Beachvolleyballerinnen goldene Momente, auch die Fußballmänner, die Handballer und Hockey-Teams holten Edelmetall ab. Die traurige Bilanz in Tokio: Erstmals seit Atlanta 1996 gab es keine Medaille. Am nächsten dran waren noch die Hockey-Männer, die das Spiel um Bronze verloren. Für Handballer, Beach-Teams, Basketballer, Fußballer und die Hockey-Frauen war spätestens im Viertelfinale Schluss.

RAISNERS RUFE: "Hau drauf, hau richtig drauf!", ist eine Ansage, die im Sport mit Pferden nichts zu suchen hat und doch zu hören war im Tokyo Stadium. Bundestrainerin Kim Raisner versuchte, die völlig verzweifelte Fünfkämpferin Annika Schleu anzuspornen, den verunsicherten Saint Boy mit Gewalt in die Spur zu bringen. Ein Unding, nicht nur für viele TV-Zuschauer, sondern auch für Dressur-Queen Isabell Werth. "Fünfkampf hat nichts mit Reiten zu tun", befand sie im Gespräch mit dem SID: "Die Pferde sind ein Transportmittel, zu denen die Athleten keinerlei Bezug haben."

VETTERS VERZWEIFLUNG: "Zum Kotzen" - kurz und knapp fasste Johannes Vetter die Gesamtsituation zusammen. Sein eigenes Gefühlschaos, die verpasste Medaille, die riesige Enttäuschung, als großer Favorit im Speerwurf nicht mal das Finale der besten Acht erreicht zu haben. Es sollte der Ort seines großen Triumphs werden, stattdessen rutschte Vetter aus. Weil der 28-Jährige überhaupt nicht mit dem Anlaufbelag zurechtkam, reichte es für das Kraftpaket aus Offenburg mit schwachen 82,52 m nur zu Platz neun.
