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Analyse Sind ältere Adoptiveltern überfordert?

Berlin · Das Höchstalter von Adoptiveltern, zurzeit maximal 40 Jahre Abstand zum Kind, soll entfallen. Das plant die große Koalition. Experten in den Jugendämtern sind skeptisch. Im Koalitionsvertrag ist das Vorhaben vage formuliert.

Altkanzler Gerhard Schröder (SPD) hatte "die bestehenden Richtlinien als nicht verbindlich" erklärt, als er mit seiner Frau Doris Schröder-Köpf 2004 und 2006 zwei russische Kleinkinder adoptierte. Er war nämlich bei der zweiten Adoption 62, seine Frau 43 — und damit galten beide eigentlich als zu alt für eine Adoption. Die große Koalition will diese umstrittene Regelung kippen und künftig auch Eltern mit über 40 Jahren Altersabstand ermöglichen, ein Baby oder ein kleines minderjähriges Kind zu adoptieren.

Gängige Praxis ist bislang, dass der Altersabstand zwischen dem Adoptivkind und seinen künftigen Eltern nicht mehr als 40 Jahre beträgt. "Wir müssen das ganze Thema Adoption den gesellschaftlichen Veränderungen anpassen", fordert die stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Nadine Schön. Die große Koalition will das Gesetz zur Adoptionsvermittlung modernisieren. Immerhin stammt die letzte umfassende Neuerung aus dem Jahr 1976. Damals stellte der Gesetzgeber die adoptierten Kinder völlig den ehelichen Kindern gleich. Das war zuvor nicht der Fall, die Verwandtschaft zur leiblichen Familie wurde damals nicht gekappt, was zu schwerwiegenden rechtlichen Problemen — besonders beim Erb- und Unterhaltsrecht — sorgte.

Jetzt geht es allerdings vor allem um die Altersgrenze, die die große Koalition reformieren möchte. Experten in den Jugendämtern sind skeptisch. Bislang ist der Altersabstand in den Empfehlungen der Bundesarbeitsgemeinschaft der Jugendämter geregelt. Darin heißt es, Eltern könnten im fortgeschrittenen Lebensalter "leichter an die Grenzen hinsichtlich ihrer Belastbarkeit" gelangen. "Dem Wohl des Kindes wird es daher in der Regeln nicht dienen, wenn der Altersabstand größer als 40 Jahre ist", so die Empfehlung, auf die sich die Jugendämter in ihren Entscheidungen bei Adoptionen regelmäßig berufen, wenn sie adoptionswilligen Paaren im fortgeschrittenen Alter die Einwilligung verweigern.

Gesetzlich festgelegt ist die obere Altersgrenze allerdings nicht, so dass — siehe das Ehepaar Schröder — im Einzelfall auch heute schon anders entschieden werden kann. Unions-Familienpolitikerin Schön hält es für notwendig, den Altersabstand zu vergrößern oder eine offenere Formulierung zu treffen, um auch Eltern in höherem Alter die Adoption eines Kleinkindes zu ermöglichen. "Die bisherige Regelung entspricht nicht mehr der Lebenwirklichkeit", sagt sie. Auch leibliche Eltern würden heute später mit der Familienplanung beginnen. "Man erreicht heute sehr schnell den Altersabstand von 40 Jahren", erklärt Schön, die gemeinsam mit den Jugendämtern einen "praktikablen Vorschlag" erarbeiten will.

Im Bundesfamilienministerium steht man dem Vorstoß nicht ablehnend gegenüber. Man wolle Eckpunkte erarbeiten, heißt es. "Die Frage des angemessenen Altersabstandes wird seit Jahren kontrovers diskutiert", sagt eine Sprecherin. Hier könnte man nicht außer Acht lassen, "dass Familiengründungen heute später erfolgen". Im Mittelpunkt müssten aber immer das Interesse und Wohl des Adoptivkindes stehen.

Im Koalitionsvertrag ist das Vorhaben vage formuliert. Man wolle sich dafür einsetzen, "dass im Adoptionsrecht die höhere Lebenserwartung der Menschen und die Tendenz zur späteren Familiengründung berücksichtigt werden", steht dort, ohne dass eine konkrete Altersgrenze genannt wird.

Der familienpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Sönke Rix, hält es für sinnvoll, die Altersabstände künftig gesetzlich zu regeln. "Das wäre die praktikabelste Lösung, bei der die Eltern Klarheit haben", sagt der SPD-Politiker. "Wir müssen die Bedingungen für Adoptiveltern anpassen", meint der Familienexperte. Bei Empfehlungen, so Rix, könne man es nicht mehr allein belassen.

Bei der Bundesarbeitsgemeinschaft der Jugendämter sieht man allerdings keinen Bedarf für eine gesetzliche Regelung. Erst 2003 war die Empfehlung von "35 bis 40 Jahre" auf 40 Jahre ausgedehnt worden. "Ich sehe das kritisch", sagt die Vorsitzende der Bundesarbeitsgemeinschaft Adoption, Birgit Zeller. "Je älter Menschen sind, desto schwerer wird es für sie, mit den besonderen Bedürfnissen eines adoptierten Kindes umzugehen", sagt Zeller, die auch beim Landesjugendamt Rheinland-Pfalz beschäftigt ist.

Oft kommen Fragen nach der eigenen Herkunft bei den Kindern in der Pubertät auf. "Das kann Paare, die dann schon im Großelternalter sind, überfordern", sagt Zeller. Sie verweist auch auf die Zahlen des Statistischen Bundesamtes, wonach Frauen in Deutschland im Schnitt bei der Geburt ihres ersten Kindes 30 Jahre alt sind. "Adoptivkinder sollten möglichst unter normalen Umständen aufwachsen. Ältere Eltern sind auch sonst in der Gesellschaft noch nach wie vor die Ausnahme", meint die Vorsitzende.

Der Bundesverband der Pflege- und Adoptiveltern ist aus anderen Gründen skeptisch. In Deutschland ist die Zahl der adoptierten Kinder mit 1500 jährlich seit Langem stabil. "Die Zahl der Adoptionen wird mit einer Gesetzesänderung nicht steigen, denn es werden nicht mehr Kinder zur Adoption freigegeben", argumentiert der Verband. Die Kämpfe um die wenigen Kinder könnten dann künftig noch härter ausfallen. Ältere Adoptiveltern hätten auch mit einer Anhebung des Altersabstands deutlich schlechtere Chancen als junge Paare, ein Kind vermittelt zu bekommen, schätzt man bei dem Verband. Ohnehin haben die Jugendämter aus gutem Grund einen großen Ermessensspielraum bei der Auswahl geeigneter Eltern für Kinder, die zur Adoption freigegeben wurden. So wird auch bei einer Änderung des Höchstalters die Adoption wie im Falle des Ehepaars Schröder eher die Ausnahme bleiben.

(RP)
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