Istanbul Erdogan sucht Hilfe beim Militär

Istanbul · Weil er im Machtkampf in Bedrängnis geraten ist, umwirbt der türkische Premier jetzt auch seine alten Feinde.

Die Regierungskrisen des Recep Tayyip Erdogan
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Foto: ap

Noch vor kurzer Zeit waren sie aus Sicht der Regierung von Recep Tayyip Erdogan verachtenswerte Staatsfeinde — Hunderte Militärs, die Umsturzversuche gegen den türkischen Ministerpräsidenten geplant haben sollen. In mehreren Mammutprozessen erhielten die Ex-Generäle teils lange Haftstrafen. Die Prozesse galten als Endpunkt der Entmachtung der früher einflussreichen Militärs, die in der Türkei auch in politischen Fragen jahrzehntelang das letzte Wort hatten. Doch jetzt ist plötzlich alles anders: Erdogan befürwortet Nachbesserungen, die den Militärs die Freiheit bringen könnten.

Für den Premier geht es um alles oder nichts. Nach Wochen des schweren Machtkampfes mit Widersachern aus dem eigenen, religiös-konservativen Lager blickt seine Partei AKP nervös auf die im März anstehenden Kommunalwahlen und die für August erwartete Wahl eines neuen Staatspräsidenten. Aus dem Kampf Erdogans mit der Bewegung des im US-Exil lebenden Predigers Fethullah Gülen könnte nun ausgerechnet die von dem Regierungschef politisch an den Rand gedrängte Armee gestärkt hervorgehen.

Erdogan sagte, er habe kein Problem mit einer Neuauflage der Verfahren. Am Wochenende sprach er mit dem Chef der türkischen Anwaltskammer über Wege, Wiederaufnahmeprozesse zu ermöglichen. Mehrere Ex-Generäle, darunter der ehemalige Generalstabschef Ilker Basbug, sitzen wegen Putschvorwürfen im Gefängnis. Vielen von ihnen wird Mitgliedschaft im rechtsgerichteten Geheimbund "Ergenekon" vorgeworfen, der einen Putsch gegen Erdogan vorbereitet haben soll. Weitere Ex-Militärs wurden verurteilt, weil sie laut Gericht im Jahr 2003 einen Putschplan unter dem Namen "Balyoz" ("Vorschlaghammer") ausgearbeitet hatten.

Die Verurteilten und die Opposition in Ankara beklagen, die Justiz sei aus politischen Motiven und mit manipulierten Beweismitteln gegen die Generäle vorgegangen. Erdogans Regierung hatte diese Kritik stets scharf zurückgewiesen. Der Premier selbst hatte sich sogar öffentlich hinter die Staatsanwälte gestellt, die gegen die mutmaßlichen Putschisten vorgingen.

Doch jetzt sind einige dieser Staatsanwälte entscheidend an den Korruptionsermittlungen gegen Erdogans Regierung beteiligt. Dabei geht es unter anderem darum, ob die staatliche Halkbank gegen Zahlung von Schmiergeld geholfen hat, mit Hilfe von Goldtransfers die internationalen Sanktionen gegen den Iran zu unterlaufen. "Ziel der Ermittlungen ist nicht der Kampf gegen Korruption", verteidigt sich Erdogan. Es handele sich vielmehr um einen Versuch, den Willen des türkischen Wählers zu torpedieren. Mit anderen Worten: um ein Komplott von Teilen der Justiz und des Polizeiapparats gegen ihn und seine Regierung.

Womöglich ist das der Grund für eine spektakuläre Kehrtwende: Plötzlich wirft der Ministerpräsident den vor Kurzem noch hochgelobten Juristen Amtsmissbrauch vor. Vor wenigen Tagen griff Erdogan einen der Staatsanwälte aus dem "Ergenekon"-Verfahren, Zekeriya Öz, sogar persönlich an und stellte Öz selbst unter Korruptionsverdacht: Er frage sich, wie sich ein Staatsdiener wie Öz so viele Ferien im Ausland leisten könne, sagte Erdogan. Sein dramatischer Schwenk ist nicht nur mit dem Zorn über die Korruptionsvorwürfe zu erklären. Es geht Erdogan offenbar auch darum, die Armee als Verbündeten gegen die Gülen-Bewegung zu gewinnen

Die "Gülencis", wie die Anhänger des Predigers genannt werden, sind im Staatsapparat und auch in der Justiz stark vertreten. Solange Gülen die Erdogan-Regierung unterstützte, störte das im Lager des Ministerpräsidenten niemanden. Doch Gülen hat sich mit Erdogan überworfen — und jetzt tobt ein offener Machtkampf. Erdogan wolle eine Korrektur der Urteile gegen die Militärs erreichen, um auch die Vorwürfe der Justiz gegen seine Regierung als politisch motivierte Aktion Gülens hinstellen zu können, sagt der Oppositionspolitiker und frühere Europa-Richter Riza Türmen.

Politisch ist Erdogans Manöver riskant. In seiner Partei AKP meldeten sich erste Kritiker zu Wort, die befürchten, dass Putschisten am Ende straffrei ausgehen könnten. Nachträgliche Freisprüche für Ex-Generäle könnten der AKP außerdem an der Wahlurne schaden. Doch Erdogan scheint sich sicher zu sein, dass die meisten AKP-Wähler bei der Stange bleiben werden.

(RP)
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