Analyse der Lage in der Türkei Erdogan — ein Regierungschef demontiert sich

Düsseldorf · Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan hat das Land mit Reformen modernisiert. Ein schwerer Korruptionsskandal und ein autoritärer Herrschaftsstil drohen jedoch sein Lebenswerk zu zerstören und die Kommunalwahl im März zum Fiasko werden zu lassen.

Recep Tayyip Erdogan ist eine tragische Figur. Er hat sich als türkischer Regierungschef zweifellos in die Geschichtsbücher seines Landes eingeschrieben. Der Islamist hat sich als Reformer weit über die Grenzen der Türkei hinaus einen Namen gemacht. Doch nun ziehen dunkle Wolken über Erdogan auf. Sein Lebenswerk droht, zusammenzustürzen wie ein Kartenhaus. Der Glanz, der auf seiner Regentschaft lag, ist stumpfer geworden. Weggefährten wenden sich reihenweise von ihm und der islamisch-konservativen Regierungspartei AKP ab. Die für den 30. März angesetzten Kommunalwahlen könnten deshalb zu einem Fiasko werden.

Ein Grund dafür ist ein ausufernder Korruptionsskandal, der sich zur Staatskrise ausweiten könnte. Nach Ermittlungen der Istanbuler Staatsanwaltschaft soll ein iranischer Geschäftsmann Schmiergelder in Millionenhöhe an Personen aus Regierungskreisen gezahlt haben. Zu dem Kreis der Verdächtigen, die in Untersuchungshaft sitzen, gehören auch Söhne von zwei inzwischen abgelösten Ministern.

Pikanterweise hatte die "Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung" (AKP) seit ihrer Gründung 2001 der Korruption den Kampf angesagt. Sie wollte sauber und über alle Zweifel erhaben sein. Sie wollte sich von den anderen Kräften durch ihre Selbstverpflichtung absetzen, und sie hatte damit durchschlagenden Erfolg. Bei der Parlamentswahl im Juni 2011 kam sie auf einen Stimmenanteil von 49,8 Prozent — ein nie zuvor erreichtes Ergebnis in der türkischen Geschichte.

Erdogan und seine AKP punkteten mit Glaubwürdigkeit und gewannen das Vertrauen der Menschen. Die Partei sonnte sich im Glanz ihres Erfolges. Und nun scheint sich herauszustellen, dass die AKP nicht besser ist als der Rest der türkischen Parteienlandschaft. Immer wieder kam es zu Berichten über Machtverfilzung und lukrative Geschäfte. Immerhin durchlebte die Türkei einen nie dagewesenen Wirtschaftsaufschwung. Das weckte Begehrlichkeiten auf der Seite der Mächtigen und nährte Argwohn bei vielen Bürgern.

Als im vergangenen Sommer der Gezi-Park in Istanbul einem Einkaufszentrum weichen sollte, gingen die Menschen auf die Straße. Tagelang protestierten sie auch gegen die Machtfülle und den autoritären Regierungsstil ihres Ministerpräsidenten. Sie wollten mehr Freiheit und weniger von Erdogan verordnete Begrenzungen ihres privaten Lebensstils. Der 59-Jährige schickte als Antwort seine Sicherheitskräfte los, mit schwerem Gerät und Tränengas. Dünnhäutig sprach Erdogan von einer internationalen Verschwörung gegen sich und seine Regierung. Er wolle und werde allem widerstehen. Doch die Mittel, die er wählte, waren falsch. Er griff die Justiz an, die er an die Kette zu legen versuchte. In seiner Neujahrsansprache distanzierte sich nun auch Staatspräsident Abdullah Gül vom Regierungschef. Er forderte ihn auf, die "Unabhängigkeit und die Überparteilichkeit der Justiz" zu respektieren und sich an die Verfassung zu halten.

Doch bisher behinderten Erdogan und die ihm treu ergebenen Gefolgsleute die Aufklärung des Korruptionsskandals. Ausländische Kräfte seien am Werk, zum Beispiel die USA oder Israel, hieß es. Deren Handlanger seien die türkischen Netzwerke des in den USA lebenden Predigers Fethullah Gülen, der Erdogan einst unterstützt hatte. All diesen dunklen Mächten werde er "die Hände brechen", donnerte der Regierungschef.

Die staatliche Religionsbehörde gab gestern die Anweisung, dass die Imame aller 85.000 Moscheen im Lande sich aus dem Kommunalwahlkampf heraushalten sollten. Predigten und Ansprachen dürften keinerlei politische Aussagen enthalten.

So entpuppt sich Erdogan, der im Sommer gerne seine Karriere mit der Staatspräsidentschaft krönen möchte, als machtverliebt und autoritär. Erdogan wollte das Land Richtung EU führen, er legte mit seinen Reformen die Militärs an die kurze Leine. Er schuf einen Wirtschaftsaufschwung, vornehmlich mit geborgtem Geld. Nun ziehen misstrauisch gewordene ausländische Investoren Mittel ab. Die Landeswährung bricht ein, und die Börsen geben nach. Gelingt es Erdogan nicht, das Vertrauen in seine Regierung wiederherzustellen, droht eine langwierige innenpolitische Krise, die aufgrund sich verschlechternder Wirtschaftsdaten soziale Unruhen provozieren könnte.

Und auch außenpolitisch droht Schaden. Mit seiner merkwürdigen Auffassung von Rechtsstaat und Demokratie hat er der Türkei den Weg in die EU zumindest erschwert. Und dem Satz, die Türkei sei ein Erfolgsmodell für andere islamische Staaten, fehlt nun die solide Basis.

(RP)
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