Honecker-Tagebuch aufgetaucht

Berlin/Düsseldorf Erich Honecker war bis 1989 Staats- und Parteichef der DDR. Knapp 20 Jahre nach seiner 169-tägigen Untersuchungshaft 1992/93 in Berlin tauchten jetzt seine persönlichen Aufzeichnungen aus dieser Zeit auf. Honecker war 1989 von seiner Partei entmachtet worden. 1991 floh er nach Moskau. 1992 wurde er nach vorübergehendem Asyl in der chilenischen Botschaft von Moskau nach Berlin ausgeflogen. Mit dem Tag der Rückkehr beginnen seine Aufzeichnungen, die seine Frau Margot bis jetzt in Santiago de Chile aufbewahrt hat. Der "Berliner Kurier" veröffentlichte erste Auszüge aus dem Tagebuch:

"Berlin in Sicht. Liegt in der Abendsonne. Ich sehe den Fernsehturm, um den Walter (Ulbricht, SED-Chef von 1950 bis 1971, Anm. der Red.) so gekämpft hat. Ich freue mich noch jetzt, dass ich ihn dabei unterstützte. Er hatte dabei einen schweren Stand", schrieb Honecker am 29. Juli 1992. Es folgen die Beschreibung des Transports in das Haftkrankenhaus sowie die Verlesung zweier Haftbefehle am folgenden Tag im Berliner Landgericht. "Nach 57 Jahren sehe ich den Komplex Moabit also wieder von innen. Weihnachten 1935 hatte mich die Gestapo aus ihrer Zentrale in der Prinz-Albrecht-Straße hierher gebracht. Anderthalb Jahre war ich damals hier in Untersuchungshaft. Für wie lange wird es diesmal sein?", fragte sich Honecker am 30. Juli 1992. Zum einen wurde er für den Schießbefehl an der innerdeutschen Grenze wegen versuchten Totschlags in 68 Fällen angeklagt. Zum anderen wurden ihm Amtsmissbrauch und Untreue gegen die noch lebenden Mitglieder des Nationalen Verteidigungsrates vorgeworfen.

Kurz darauf begegnete er mehrmals dem ehemaligen Stasi-Chef Erich Mielke im Krankenhaushof. "Ich rief: Erich! Diesmal mit ,Rot Front!', dass es über den ganzen Hof schallte." Doch Mielke reagierte nicht. Honecker war verärgert. Auch sprach er von einer "Hetzjagd gegen Dich" (womit offenbar seine Frau Margot, ehemalige DDR-Kulturministerin, gemeint ist). "Die Justiz der BRD hat kein Recht, über Dich, die Du Deinem Staat treu und erfolgreich gedient hast, zu Gericht zu sitzen." Umso erfreuter war der damals 79-Jährige, als er im Radio erfuhr, dass das chilenische Parlament seiner Frau den Aufenthalt bewilligt.

Gleichzeitig beschrieb der Kommunist, wie seine Krebserkrankung immer weiter fortschritt. Er berichtete von dunklen Stellen auf der Leber. Trotzdem wurde das Verfahren gegen ihn aufgenommen. Am 12. Januar 1993 stellte das Berliner Landgericht jedoch den Fall Honecker aus humanitären Gründen ein und hob den Haftbefehl auf. Auch der Vorwurf gegen Veruntreuung wurde fallengelassen. Der todkranke Mann reiste zu seiner Familie nach Chile, wo er 1994 im Alter von 81 Jahren starb. Seine Witwe lebt bis heute in Santiago de Chile.

(RP)
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