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Kolumne: Gesellschaftskunde Wenn Menschen das Warten verlernen

Düsseldorf · Kaum jemand steht noch in der Warteschlange, ohne das Handy zu zücken und sich die Zeit zu vertreiben. Dabei ist es eine wichtige Erfahrung, ab und an die Zeit zu spüren - und zu überlegen, ob man sie sonst richtig verbringt.

 Warten zu müssen, kann die Sinne dafür schärfen, dass die Zeit zu oft einfach nur dahingeht, meint unsere Kolumnistin Dorothee Krings.

Warten zu müssen, kann die Sinne dafür schärfen, dass die Zeit zu oft einfach nur dahingeht, meint unsere Kolumnistin Dorothee Krings.

Foto: Krings

Wie zäh die Zeit werden kann, wenn man wartet! Plötzlich bekommen die Minuten Gewicht, man spürt sie, als verdickten sie einem das Blut, als müsste der Körper nun anarbeiten gegen etwas, das das Durchrauschen der sonst so verflüssigten Gegenwart aufhält. Als sei da etwas geronnen.

Warten kann quälen. Und so haben viele Menschen verlernt, diesen Zustand zu ertragen. Man kann das beobachten, wenn Fußgänger an der Ampel stehen und nicht mal die rote Phase durchhalten, ohne das Handy hervorzuziehen, mal schnell zu schauen, was so los ist, und sich die Zeit zu vertreiben. In Wartezimmern liegen Zeitschriften aus, plaudert der Fernseher. Niemand soll gegen seinen Willen in jenen Zustand gestoßen werden, da er die Zeit spürt, allein ist mit seinen Gedanken und dem Gefühl, nicht gefordert, nicht beschäftigt, nicht fremdbestimmt zu sein. Als sei das nicht eigentlich ein Geschenk.

"Warten auf Godot"

Natürlich hat niemand diesen Zustand so meisterlich beschrieben wie Samuel Beckett. Sein Theaterstück "Warten auf Godot" versucht nicht, Worte zu finden für das Ausharren, es lässt den Zuschauer einfach mitwarten. Und verweigert jede Auskunft über das Worauf und Warum. Das ist Warten in Reinform. Der Mensch erlebt nur, dass er ist. Er kann sich keinen Reim darauf machen, keinen Sinn zurechtlegen, ihm fallen nur dumme Spielchen ein, um das Warten zu unterbrechen, die Zeit zu zerstreuen, das Gefühl der Sinnlosigkeit loszuwerden.

Die Gegenwart hält viele solcher Zerstreuungs-Angebote bereit. Offensichtliche Verführungen wie Computerspielen, Shoppen, Unterwegssein im Internet, aber auch Notwendigkeiten wie Besprechungen, Telefonkonferenzen, Teamsitzungen. Man hält das für alternativlos und merkt gar nicht, wie Stunden verschwinden und den Menschen zum gehetzten Wesen machen, der das Gespür für sich selbst verliert.

Warten schärft die Sinne

Warten zu müssen, kann die Sinne dafür schärfen, dass die Zeit zu oft einfach nur dahingeht. Es lässt sich dagegen angehen, nicht durch noch mehr Unternehmungen, noch einen Zeitvertreib, sondern indem man streng darauf achtet, seine Zeit sinnvoll zu verbringen. Mit echten Begegnungen, mit erfüllendem Sport oder Spiel, mit Einsatz für andere. Das muss nichts Spektakuläres sein, man spürt ja genau, was das Leben bereichert und was nur Tändelei ist. Die Landstreicher bei Godot warten an einer Straße unter einem kahlen Baum. Da ist kein Leben, keine Lebendigkeit, kein echtes Gespräch. So ist Warten die Hölle.

Ihre Meinung? Schreiben Sie unserer Autorin: kolumne@rheinische-post.de

(dok)
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