Spanien flüchtet unter den Rettungsschirm "Lage wird sich weiter verschlechtern"

Madrid · Spaniens Ministerpräsident Mariano Rajoy rechnet trotz der beantragten EU-Finanzhilfen nicht damit, dass sich Spaniens Wirtschaft in diesem Jahr erholt. Im Gegenteil: Die Arbeitslosenquote werde noch über das derzeitige Niveau von fast 25 Prozent steigen, so Rajoy. Bereits jetzt hat das Land die höchste Arbeitslosenquote in der ganzen Eurozone.

 Ministerpräsident Mariano Rajoy geht davon aus, dass sich Spaniens Lage in diesem Jahr noch verschlechtern wird.

Ministerpräsident Mariano Rajoy geht davon aus, dass sich Spaniens Lage in diesem Jahr noch verschlechtern wird.

Foto: afp, DANI POZO

"Dieses Jahr wird ein schlechtes sein", sagte Rajoy. Die Wirtschaft werde um 1,7 Prozent zurückgehen und die Arbeitslosigkeit zunehmen. Die Rezession hat das Land fest im Griff.

Gleichwohl werde Spanien seine wirtschaftliche Glaubwürdigkeit zurückgewinnen, indem die Banken unterstützt würden, sagte der Regierungschef weiter. Letztlich könnte dadurch auch wieder die spanische Wirtschaft wachsen.

Wann es soweit sein könnte, sagte Rajoy nicht. Der Ministerpräsident rechnete damit, dass dies dazu beitragen würden, die Glaubwürdigkeit in der Eurozone wiederherzustellen.

Kein Rettungspaket

Die Entscheidung, am Samstag Finanzhilfe zu beantragen, sei schwierig gewesen, sagte Rajoy weiter. Aber sie werde Spanien vor dem kompletten wirtschaftlichen Niedergang retten und die wacklige Position der Europäischen Union stärken.

Rajoy betonte, dass es sich bei der Finanzhilfe von bis zu 100 Milliarden Euro für Spaniens Banken um eine Kreditlinie und kein Rettungspaket handle, wie sie Griechenland, Portugal und Irland erhalten hatten.

Die Rettungspakete für die drei anderen Länder seien mit einer strengen Kontrolle der öffentlichen Finanzen von außen verbunden, das Hilfspaket für Spanien hingegen nicht.

Für die wirtschaftlichen Sorgen seines Landes machte Rajoy die Vorgängerregierung unter dem Sozialisten José Luis Rodríguez Zapatero verantwortlich, ohne diese beim Namen zu nennen.

"Wir können so nicht leben"

Vergangenes Jahr habe die Staatsverwaltung 90 Milliarden Euro mehr ausgegeben als sie eingenommen habe, sagte Rajoy. Derartiges Verhalten könne nicht beibehalten werden. "Wir können so nicht leben."

Kritik an seinem Vorgehen in der Schuldenkrise wies er zurück. Durch die Wirtschaftsreformen und Schritte zum Abbau des Haushaltsdefizits sei vermieden worden, dass das gesamte Land wegen seiner Staatsschulden hätte gerettet werden müssen.

Auf Twitter nennen sie ihn einen "Feigling"

Zugleich vermied er den geplanten Antrag auf Unterstützung der Finanzinstitute durch europäische Fonds "Rettung" zu nennen. Stattdessen sprach er wiederholt davon, "was gestern geschah". "Wenn wir nicht getan hätten, was wir in den vergangenen fünf Monaten getan haben, wäre das, was auf dem Tisch gelegen hätte, eine Intervention in Spanien gewesen."

Der Ministerpräsident wies auf seine Leistung hin: "Es ist nicht einfach, eine Kreditlinie über 100 Milliarden Euro zu erhalten." In den spanischen Medien steht Rajoy dagegen unter Beschuss. Auch zahlreiche Twitter-Nutzer nannten ihn einen Feigling. Ihm wird vorgeworfen, am Samstag Wirtschaftsminister Luis de Guindos vorgeschoben zu haben, um den Antrag bekanntzugeben. Er selbst habe keine Verantwortung für den Schritt übernehmen wollen, hieß es.

Am Sonntag zur EM nach Polen

Trotz der Bankenkrise will Rajoy es sich nicht nehmen lassen, zum EM-Auftaktspiel der Spanier gegen Italien am Sonntag in Polen zu fliegen. Er reise dorthin, weil Spanien amtierender Weltmeister sei "und weil ich denke, dass es gut ist, wenn ein Regierungschef beim Eröffnungsspiel dabei ist", sagte Rajoy auf einer Pressekonferenz in Madrid.

"Ich glaube, dass die spanische Mannschaft das verdient hat", fügte er hinzu. Zugleich betonte der konservative Ministerpräsident, er werde am frühen Nachmittag fliegen und nur wenige Stunden außer Landes sein. Am Montag werde er bei der Amtseinführung des neuen Chefs der spanischen Zentralbank dabei sein. Am selben Tag wird sich auch zeigen, wie die Finanzmärkte Spaniens Flucht unter den Rettungsschirm bewerten.

Am Samstag hatte Madrid nach langem Zögern erklärt, dass es Milliardenhilfen für die Rettung seiner Banken beantragen werde. Wie hoch die Summe aus den Eurokrisenfonds sein wird, war zunächst noch nicht klar. Den genauen Betrag werde die Regierung nach einer unabhängigen Prüfung des Bankensektors angeben. Das Ergebnis soll spätestens am 21. Juni vorliegen.

Der IWF hatte die Lücke am Freitag auf mindestens 40 Milliarden Euro beziffert. Die Eurogruppe hatte nach stundenlangen telefonischen Beratungen zuvor bereits bis zu 100 Milliarden Euro zugesagt.

Die deutsche Bundesregierung und Opposition begrüßten den Schritt ausdrücklich. Vizekanzler und Wirtschaftsminister Philipp Rösler sprach am Sonntag in Berlin von einem "richtigen und notwendigen Schritt". Er gehe davon aus, dass die Maßnahme "wesentlich dazu beitragen wird, Transparenz zu schaffen und das Vertrauen an den Finanzmärkten zu stabilisieren".

SPD-Fraktionsvize Joachim Poß bekräftigte, der spanische Bankensektor müsse "auch im europäischen und deutschen Interesse saniert werden". Deshalb sei der Schritt der Madrider Regierung "wohl unvermeidlich".

Bereits am Samstagabend hatte Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) "die Entschlossenheit" der spanischen Regierung gelobt. Zugleich betonte er, nicht die Banken, sondern Spanien bekomme das Geld. Damit hafte Madrid für die Milliardenhilfen und habe zugleich die Aufsicht über die Banken. Schäuble will erreichen, dass die Hilfe aus dem ESM kommt, und nicht aus dem EFSF. Das wäre "noch besser, weil der ESM effizienter ist", erklärte er. Und deswegen sei eine rasche Ratifizierung notwendig. Im EFSF sind derzeit noch 250 Milliarden Euro verfügbar, der ESM hat noch 250 Milliarden Euro zusätzlich.

(APD/REU)
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