Brüssel Junckers Chancen auf Chefsessel in der EU-Kommission steigen

Brüssel · Martin Schulz gab sich gestern ganz als fairer Verlierer. "Nach den Regeln ist es der Stärkste, der beginnt", sagte der EU-Parlamentspräsident. So, als habe das nie in Frage gestanden.

Brüssel: Junckers Chancen auf Chefsessel in der EU-Kommission steigen
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Das heißt: Der Christdemokrat Jean-Claude Juncker bekommt als Kandidat der stärksten Fraktion im neuen EU-Parlament das Mandat, eine Mehrheit für seine Wahl zum neuen Präsidenten der EU-Kommission zu organisieren.

Darauf einigten sich die Fraktionsvorsitzenden gestern mit deutlicher Mehrheit. Mindestens 561 der 751 Abgeordneten im frisch gewählten Plenum, das sich Anfang Juli konstituiert, stehen hinter dem Beschluss. Martin Schulz saß dem Treffen als noch amtierender EU-Parlamentspräsident vor.

Dabei ist es kein Geheimnis, dass er den Kommissions-Job ebenfalls gerne hätte. In der Wahlnacht hatte Schulz noch angekündigt, er wolle in Konkurrenz zu Juncker auf Mehrheitssuche zu gehen. Dabei war vor dem Urnengang vereinbart worden, dem Kandidaten der stärksten Fraktion dieses Vorrecht zu gewähren. Gestern betonte Schulz, es gehe um einen ersten Versuch Junckers, der scheitern könne. Dann komme der nächste zum Zug: "Und das bin ich."

Rein rechnerisch braucht Juncker die Unterstützung der Sozialdemokraten, um die nötige absolute Mehrheit (376 Stimmen) im Plenum zu zimmern. Letztere werden also versuchen, möglichst viel für ihre Stimmen zu bekommen - sowohl inhaltlich als auch personell. Dazu passt, dass Schulz gestern ankündigte, er wolle am 18. Juni für den Fraktionsvorsitz kandidieren, um "die Verhandlungen mit anderen Fraktionen zu führen". Sein Mandat als Präsident der Volksvertretung würde ohnehin Ende Juni auslaufen.

Der SPD-Mann Schulz spekuliert darauf, Kommissar in der neuen EU-Exekutive zu werden, oder aber sogar EU-Außenbeauftragter und damit automatisch Vize von Juncker. Der scheidende sozialdemokratische Fraktionschef Hannes Swoboda kündigte an, dass "wir Sozialdemokraten für Martin Schulz eine starke Position in der Kommission verlangen. Aber die Nummer eins wird Herr Juncker sein."

Vor allem aber will das Europaparlament mit der schnellen Festlegung auf Juncker verhindern, dass es von den Staats- und Regierungschefs bei der Auswahl des Kommissionspräsidenten düpiert wird. Die EU-Regierenden, die gestern Abend zusammenkamen, haben das Vorschlagsrecht für den Kandidaten. Die EU-Rechtstexte besagen freilich, dass sie ihren Vorschlag nach Konsultationen mit dem Parlament und unter Berücksichtigung des Wahlergebnisses machen. Trotzdem regte sich Widerstand: Der vom Triumph der EU-feindlichen Ukip geschwächte britische Premier David Cameron forderte seine Kollegen vor dem Gipfel auf, sich nicht vom Parlament unter Druck setzen zu lassen. Cameron, der Ungar Viktor Orbán und Schwedens Regierungschef Fredrik Reinfeldt wollen Juncker verhindern, weil er ihnen zu integrationsfreundlich ist.

Auch Kanzlerin Angela Merkel hat sich lange gegen einen Automatismus gewehrt, wonach der Wahlsieger auch Kommissionspräsident wird. Doch setzt die CDU-Chefin nun, nach einem Sieg der Konservativen, Juncker nicht durch, könnte das als Schwäche gedeutet werden.

(RP)
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