Personalpoker in Brüssel Merkel lässt Juncker zappeln

Der Luxemburger Jean-Claude Juncker steht nach der Europawahl als Sieger da. Doch auf dem Gipel in Brüssel wird schnell deutlich, dass die Staatschefs ihn deswegen noch lange nicht zum neuen Kommissionspräsidenten bestellen werden. Die Kanzlerin hält sich alle Optionen offen.

Angela Merkel lässt Jean-Claude Juncker zappeln
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Der konservative Sieger der Europawahl Jean-Claude Juncker bekommt auf dem Weg an die Spitze der EU-Kommission Gegenwind. Beim EU-Gipfel am Dienstag wurde in Brüssel deutlich, dass die Staatenlenker noch lange keinen Konsens über die Nachfolge von EU-Kommissionschef José Manuel Barroso gefunden haben. Der Luxemburger Juncker muss sich deshalb auf einen wochen- oder monatelange Zitterpartie einstellen.

Die "Chefs" erteilten dem Ratsvorsitzenden Herman Van Rompuy den Auftrag, mit dem Parlament über die Toppersonalie zu verhandeln. Nach den vierstündigen Beratungen vermied Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) eine Festlegung auf Juncker (59). Die Entscheidung könne nur im Rahmen eines größeren Personalpakets und mit klaren politischen Zielen für die neue Kommission getroffen werden. Barrosos Amtszeit läuft Ende Oktober aus.

"Ich habe Jean-Claude Juncker als Spitzenkandidaten unterstützt. Das habe ich nach dem Wahltag nicht vergessen", sagte Merkel. Unter den Staats- und Regierungschefs werde es aber darüber noch Diskussionen geben. "Wir müssen dafür sorgen, dass wir im (Europäischen) Rat gut miteinander arbeiten können", sagte sie. Nächste Etappe im Postenpoker ist der kommende Gipfel am 26. und 27. Juni.

Der liberale luxemburgische Premier Xavier Bettel kritisierte die abwartende Haltung von Gipfelkollegen: "Wenn man sich auf einen Spitzenkandidaten geeinigt hat, dann muss man das auch respektieren. Ich habe Schwierigkeiten, draußen zu erklären, dass man sich jetzt nicht einig ist über das Wer, Was und Wo."

Er fügte aber hinzu: "Besser als heute eine Abstimmung mit Spaltung der 28 ist es, sich Zeit zu geben und dann das Resultat zu respektieren." Als Gegner einer Juncker-Kandidatur gelten der britische Premier David Cameron und der nationalkonservative ungarische Regierungschef Viktor Orban.

Die Konservativen wurden bei den Europawahlen am Sonntag die stärkste Kraft mit 213 Sitzen im Parlament. Die Sozialdemokraten landeten auf Platz zwei (191 Sitze). Juncker als Wahlgewinner kommt nicht automatisch zum Zug. Nach den Gesprächen mit dem Parlament wird Van Rompuy den "Chefs" einen Personalvorschlag machen. Das Parlament muss dann dem Kandidaten mit absoluter Mehrheit zustimmen.

Da Rechtspopulisten und Euro-Skeptiker gestärkt aus der Europawahl gingen, wird eine große Koalition in der Brüsseler Machtzentrale wahrscheinlicher. "Wir wissen, dass keine Parteiengruppe alleine eine Mehrheit hat. Das heißt, es wird darum gehen, eine breite Mehrheit zu finden", so Kanzlerin Merkel.

Der EU-Kommissionschef ist nur einer von mehreren Spitzenposten auf EU-Ebene. Dazu gehören der EU-Ratsvorsitzende, der die EU-Gipfel leitet, der EU-Außenbeauftragte und möglicherweise auch ein hauptamtlicher Chef der Euro-Finanzminister. Ein Paket müsste ausgewogen sein, etwa mit Blick auf Herkunft oder Geschlecht.

Der Wahlgewinn der rechtsextremen Front National in Frankreich und der Erfolg der rechtspopulistischen UKIP in Großbritannien sorgten für Unruhe bei dem Gipfel.

"Wir brauchen eine Einstellung, die anerkennt, dass Brüssel zu groß, zu rechthaberisch und zu eingreifend geworden ist", meinte der britische Premier David Cameron. Der französische Staatschef François Hollande sagte: "Europa muss sich auf das Wesentliche konzentrieren", forderte er. Van Rompuy wird mit den Staatenlenkern über eine neue strategische Agenda der EU für die nächsten Jahren sprechen. Dabei gehe es vor allem um Wachstum, Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft und Arbeitsplätze.

Weiteres Thema des Abendessens war die Ukraine-Krise. Die Gipfelrunde forderte Russland zur Zusammenarbeit mit dem neuen ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko auf. "Wir erwarten, dass die Russische Föderation mit dem neu gewählten und legitimen Präsidenten zusammenarbeitet, den Rückzug der Streitkräfte von der ukrainischen Grenze fortsetzt und ihren Einfluss auf die bewaffneten Separatisten nutzt, um die Lage in der Ukraine zu deeskalieren", heißt es in einer Erklärung.

In dem Papier wird Moskau nicht mit EU-Sanktionen gedroht. Die Staats- und Regierungschefs nahmen die "Vorbereitungen für mögliche gezielte Maßnahmen" der EU lediglich zur Kenntnis. Merkel schloss allerdings weitere Sanktionen gegen Russland nicht aus, falls es zu einer neuen Destabilisierung im Osten der Ukraine komme.

(dpa)
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