Bürokratielasten auf Platz eins der Sorgen Familienunternehmer blicken pessimistisch ins neue Jahr

Exklusiv | Berlin · Die Familienunternehmen blicken so pessimistisch ins neue Jahr wie selten. Viele Mittelständler liebäugeln laut einer Umfrage mit neuen Produktionsstandorten im Ausland. Was die Firmen am meisten am Standort Deutschland stört, ist hausgemacht – und kommt angesichts des Ukraine-Kriegs und der hohen Preise durchaus unerwartet.

 Reinhold von Eben-Worlée, Präsident des Verbandes der Familienunternehmer.

Reinhold von Eben-Worlée, Präsident des Verbandes der Familienunternehmer.

Foto: picture alliance/dpa/Bernd von Jutrczenka

Die Familienunternehmer in Deutschland blicken pessimistischer auf das neue Jahr als am Ende der Pandemiejahre 2020 und 2021. Das geht aus der Jahresumfrage unter 1.136 Mitgliedsunternehmen der Verbände „Die Familienunternehmer“ und „Die Jungen Unternehmer“ hervor, die unserer Redaktion vorliegt. International tätige Familienunternehmen wollen demnach Deutschland zwar grundsätzlich treu bleiben, sie planen aber ihre Geschäftstätigkeit und Investitionen im Ausland stärker zu erhöhen als in Deutschland.

Mit einem Wachstum ihres Geschäfts rechnen für 2023 nur noch 40 Prozent der Firmen. 2020 waren es dagegen 46 Prozent und 2021 sogar 56 Prozent, so die Umfrage. Einen Rückgang erwarten 30 Prozent der Firmen. 2021 waren es nur zwölf Prozent. Im Inland wollen im kommenden Jahr 27 Prozent der Unternehmen ihre Investitionen steigern, doch 37 Prozent wollen das lieber im Ausland tun, davon 17 Prozent außerhalb der EU.

Direkt auf Platz eins der größten Sorgen der Mittelständler landete ein Newcomer in der Umfrage: „Bürokratie durch Berichtspflichten“ (79 Prozent). Der Fachkräftemangel – mit 67 Prozent im Vorjahr Sorge Nummer eins – hat zwar nicht an Bedeutung verloren, wird aber in diesem Jahr mit fast demselben Wert (68 Prozent) von noch größeren Sorgen auf den siebten Platz verdrängt. Deutlich mehr als im Vorjahr sorgen die Unternehmen die Gefahr von Steuererhöhungen (68 Prozent), die hohen Energiekosten (69 Prozent), die Inflation (mit 71 Prozent auf Platz vier), der Anstieg der Sozialabgaben (73 Prozent) sowie die weitere Verkrustung des Arbeitsrechts (mit 75 Prozent auf Platz zwei). Im Vorjahr sorgte diese erst 63 Prozent der Unternehmer in großem Maße. Aktuell befürchten die Firmen vor allem deutlich mehr Bürokratie bei der Arbeitszeiterfassung ihrer Mitarbeiter: Nach einem Urteil des Bundesarbeitsgerichts müssen Arbeitgeber künftig exakt und nachprüfbar belegen, wie lange ihre Angestellten gearbeitet haben.

Dennoch schlagen diese Sorgen noch nicht auf den Arbeitsmarkt durch: Die erwartete Entwicklung der Arbeitsplätze bleibt 2023 konstant, auch die Ausbildung wird weiter hochgehalten. Doch immerhin 15 Prozent der Unternehmer und damit doppelt so viele wie im Vorjahr planen, die Zahl ihrer Arbeitsplätze zu verringern.

„Die Stimmung im Mittelstand ist gedrückt“, sagte Familienunternehmer-Präsident Reinhold von Eben-Worlée. Die Sorgen der Unternehmen seien aber nicht allein den Folgen des Ukraine-Kriegs geschuldet. „Der Sorgenkatalog weist deutlich darauf hin, dass unsere verantwortlichen Politiker und die Verwaltung auf allen Ebenen die Krisen nicht gut genug managen. Wenn Unternehmern als Topsorgen – noch vor Inflation und Energiepreisanstieg – die Verkrustung des Arbeitsrechts und die enorme Bürokratie durch Berichtspflichten auf der Seele brennen, offenbart dies: Deutschland hat sich in Bürokratie und starren Strukturen verheddert und selbst gefesselt“, sagte er. „Wenn unsere Politik den Staat noch nicht einmal in einer Krise auf Effizienz trimmen kann, dann ist das psychologische Signal an die Wirtschaft verheerend.“ Wer den Unternehmen immer neue Berichtspflichten aufbürde wie etwa mit dem Lieferketten-Sorgfaltspflichtengesetz, „der darf sich nicht wundern, wenn die Wirtschaft immer stärker die hiesigen Standortnachteile sieht“, sagte Eben-Worlée. „Kanzler Scholz und sein Kabinett müssen 2023 endlich dafür sorgen, dass aus der mühsamen Zeitenwende eine Aufbruchstimmung wird.“

Auch in einer Umfrage des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) bei Wirtschaftsverbänden zeigt sich: Der Energiepreisschock und die unsichere geopolitische Lage verderben den Unternehmen die Stimmung zum Jahreswechsel. 39 von 49 Wirtschaftsverbänden beurteilten die aktuelle Lage trüber als vor einem Jahr. Vor einem Jahr hätten die Unternehmen noch gedacht, die turbulentesten Zeiten seien überwunden. Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine veränderte die Lage.

Immerhin mehren sich die Anzeichen einer eher milden Rezession in diesem Winterhalbjahr. „Ich glaube nicht, dass man sagen kann, die Rezession sei abgesagt. Sie dürfte aber schwächer ausfallen als zunächst befürchtet“, sagte etwa IW-Chef Michael Hüther. Man hoffe auf ein Ende der Störungen in der Lieferkette, von denen noch immer vier von zehn Unternehmen betroffen seien, sagte Peter Adrian, Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages. Der DIHK rechnet aber erst in der zweiten Jahreshälfte 2023 mit einer konjunkturellen Belebung. Auch aus der Industrie gibt es etwas bessere Signale. „Wir erwarten im Winter nur einen leichten Einbruch“, sagte Industriepräsident Siegfried Russwurm.

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